[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
wikilink
Belege in Fußnoten
 
Zeile 89:
Nur zwei Staaten, das bolschewistische Russland und das faschistische Italien, hätten den Versuch gemacht, mit den überkommenen Verfassungsprinzipien des 19. Jahrhunderts zu brechen, um die großen Veränderungen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur auch in der staatlichen Organisation und in einer geschriebenen Verfassung zum Ausdruck zu bringen. Gerade nicht intensiv industrialisierte Länder wie Russland und Italien könnten sich eine moderne Wirtschaftsverfassung geben.
 
In hochentwickelten Industriestaaten ist die innenpolitische Lage nach Schmitts Auffassung von dem „Phänomen der ‚sozialen Gleichgewichtsstruktur‘ zwischen Kapital und Arbeit“ beherrscht: Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich mit gleicher sozialer Macht gegenüber und keine Seite kann der anderen eine radikale Entscheidung aufdrängen, ohne einen furchtbaren Bürgerkrieg auszulösen. Dieses Phänomen sei vor allem von [[Otto Kirchheimer]] staats- und verfassungstheoretisch behandelt worden. Aufgrund der Machtgleichheit seien in den industrialisierten Staaten „auf legalem Wege soziale Entscheidungen und fundamentale Verfassungsänderungen nicht mehr möglich, und alles, was es an Staat und Regierung gibt, ist dann mehr oder weniger eben nur der neutrale (und nicht der höhere, aus eigener Kraft und Autorität entscheidende) Dritte“ (.<ref>Positionen und Begriffe, S. 127).</ref> Der italienische Faschismus versuche demnach, mit Hilfe einer geschlossenen Organisation diese [[Supremat]]ie des Staates gegenüber der Wirtschaft herzustellen. Daher komme das faschistische Regime auf Dauer den Arbeitnehmern zugute, weil diese heute das Volk seien und der Staat nun einmal die politische Einheit des Volkes.
 
Die Kritik bürgerlicher Institutionen war es, die Schmitt in dieser Phase für junge sozialistische Juristen wie [[Ernst Fraenkel (Politikwissenschaftler)|Ernst Fraenkel]], Otto Kirchheimer und [[Franz Neumann (Politikwissenschaftler)|Franz Neumann]] interessant machte.<ref>Siehe etwa Otto Kirchheimer, [[Nathan Leites]]: ''Bemerkungen zu Carl Schmitts ‘Legalität und Legitimität’.'' In: ''[[Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik]].'' 68/1933, 457 ff.; zu Kirchheimer und Schmitt siehe Volker Neumann: ''Verfassungstheorie politischer Antipoden: Otto Kirchheimer und Carl Schmitt.'' In: ''[[Kritische Justiz]].'' 14/1981, 31 ff.; Riccardo Bavaj: ''Otto Kirchheimers Parlamentarismuskritik in der Weimarer Republik. Ein Fall von “Linksschmittianismus”.'' In: ''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.'' LV, 1, Januar 2007, S. 33–51; Reinhard Mehring: ''„ein typischer Fall jugendlicher Produktivität“. Otto Kirchheimers Bonner Promotionsakte.'' In: {{Webarchiv | url=http://www.forhistiur.de/zitat/1001mehring.htm| text=''Forum Historie Juris.''| wayback=20131124143927}} 2010; zu Fraenkel und Schmitt siehe Michael Wildt: ''Ernst Fraenkel und Carl Schmitt: Eine ungleiche Beziehung.'' In: [[Daniela Münkel]], Jutta Schwarzkopf (Hrsg.): ''Geschichte als Experiment.'' Festschrift für [[Adelheid von Saldern]], 2004 ([http://www.lueders-kunden.net/wildt/download/Wildt%20Fraenkel%20und%20Schmitt.pdf lueders-kunden.net] [PDF; 56&nbsp;kB, abgerufen am 12. August 2019]); zu Neumann und Schmitt siehe Volker Neumann: ''Kompromiß oder Entscheidung? Zur Rezeption der Theorie Carl Schmitts in den Weimarer Arbeiten von Franz Neumann.'' In: [[Joachim Perels]] (Hrsg.): ''Recht, Demokratie und Kapitalismus.'' 1984, S. 65 ff.; Alfons Söllner: ''Linke Schüler der Konservativen Revolution? Zur politischen Theorie von Neumann, Kirchheimer und Marcuse am Ende der Weimarer Republik.'' In: ''[[Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft|Leviathan]].'' 1983, 2. Jg., S. 214 ff.; Volker Neumann: ''Entzauberung des Rechts? Franz Neumann und Carl Schmitt.'' In: [[Samuel Salzborn]] (Hrsg.): ''Kritische Theorie des Staates, Staat und Recht bei Franz Neumann.'' 2009, S. 79–107.</ref> Umgekehrt profitierte Schmitt von den unorthodoxen Denkansätzen dieser linken Systemkritiker. So hatte Schmitt den Titel einer seiner bekanntesten Abhandlungen (Legalität und Legitimität) von Otto Kirchheimer entliehen.<ref>Otto Kirchheimer, Legalität und Legitimität, in: [[Die Gesellschaft (Politikzeitschrift)|Die Gesellschaft]], Band 2, Heft 7, 1932, abgedruckt in: Otto Kirchheimer, Politische Herrschaft – Fünf Beiträge zur Lehre vom Staat, 4. Auflage. 1981, S. 1 ff. Zur Bezugnahme Schmitts auf diese Arbeit Kirchheimers siehe Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932, 5. Auflage 1993, S. 14.</ref> Ernst Fraenkel besuchte Schmitts staatsrechtliche Arbeitsgemeinschaften<ref>Siehe die Tagebucheintragungen Carl Schmitts von 7.5., 23.7. und 4. August 1931, zitiert nach Seiberth, Anwalt des Reiches, 2001, S. 86 FN 40</ref> und bezog sich positiv auf dessen Kritik des destruktiven Misstrauensvotums (Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie, Die Gesellschaft, 1932). Franz Neumann wiederum verfasste am 7. September 1932 einen euphorisch zustimmenden Brief anlässlich der Veröffentlichung des Buches ''Legalität und Legitimität'' (abgedruckt.<ref>Abgedruckt in: Rainer Erd, Reform und Resignation, 1985, S. 79 f.).</ref> Kirchheimer urteilte über die Schrift im Jahre 1932: „Wenn eine spätere Zeit den geistigen Bestand dieser Epoche sichtet, so wird sich ihr das Buch von Carl Schmitt über ''Legalität und Legitimität'' als eine Schrift darbieten, die sich aus diesem Kreis sowohl durch ihr Zurückgehen auf die Grundlagen der Staatstheorie als auch durch ihre Zurückhaltung in den Schlussfolgerungen auszeichnet.“ (<ref>Verfassungsreaktion 1932, Die Gesellschaft, IX, 1932, S. 415ff.)</ref> In einem Aufsatz von Anfang 1933 mit dem Titel ''Verfassungsreform und Sozialdemokratie'' (<ref>Die Gesellschaft, X, 1933, S. 230ff.)</ref>, in dem Kirchheimer verschiedene Vorschläge zur Reform der Weimarer Verfassung im Sinne einer Stärkung des Reichspräsidenten zu Lasten des Reichstags diskutierte, wies der SPD-Jurist auch auf Anfeindungen hin, der die Zeitschrift ''[[Die Gesellschaft (Politikzeitschrift)|Die Gesellschaft]]'' aufgrund der positiven Anknüpfung an Carl Schmitt von kommunistischer Seite ausgesetzt war: „In Nr. 24 des ''[[Roter Aufbau (Zeitschrift)|Roten Aufbaus]]'' wird von ‚theoretischen Querverbindungen‘ zwischen dem ‚faschistischen Staatstheoretiker‘ Carl Schmitt und dem offiziellen theoretischen Organ der SPD, der ''Gesellschaft'' gesprochen, die besonders anschaulich im Fraenkelschen Aufsatz zutage treten sollen.“ Aus den fraenkelschen Ausführungen, in denen dieser sich mehrfach auf Schmitt bezogen hatte, ergebe sich in der logischen Konsequenz die Aufforderung zum Staatsstreich, die Fraenkel nur nicht offen auszusprechen wage. In der Tat hatte Fraenkel in der vorherigen Ausgabe der „Gesellschaft“ unter ausdrücklicher Anknüpfung an Carl Schmitt geschrieben: „Es hieße, der Sache der Verfassung den schlechtesten Dienst zu erweisen, wenn man die Erweiterung der Macht des Reichspräsidenten bis hin zum Zustande der faktischen Diktatur auf den Machtwillen des Präsidenten und der hinter ihm stehenden Kräfte zurückführen will. Wenn der Reichstag zur Bewältigung der ihm gesetzten Aufgaben unfähig wird, so muß vielmehr ein anderes Staatsorgan die Funktion übernehmen, die erforderlich ist, um in gefährdeten Zeiten den Staatsapparat weiterzuführen. Solange eine Mehrheit grundsätzlich staatsfeindlicher, in sich uneiniger Parteien im Parlament, kann ein Präsident, wie immer er auch heißen mag, gar nichts anderes tun, als den destruktiven Beschlüssen dieses Parlaments auszuweichen. Carl Schmitt hat unzweifelhaft recht, wenn er bereits vor zwei Jahren ausgeführt hat, daß die geltende Reichsverfassung einem mehrheits- und handlungsfähigen Reichstag alle Rechte und Möglichkeiten gibt, um sich als den maßgebenden Faktor staatlicher Willensbildung durchzusetzen. Ist das Parlament dazu nicht im Stande, so hat es auch nicht das Recht, zu verlangen, daß alle anderen verantwortlichen Stellen handlungsunfähig werden.“<ref>Ernst Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie, Die Gesellschaft, IX, 1932, S. 297 ff.</ref>
 
Schmitt war ab 1930 für eine autoritäre [[Präsidialkabinett|Präsidialdiktatur]] eingetreten und pflegte Bekanntschaften zu politischen Kreisen, etwa dem späteren preußischen Finanzminister [[Johannes Popitz]].<ref>Lutz Arwed Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland, 1972</ref> Auch zur [[Reichsregierung]] selbst gewann er Kontakt, indem er enge Beziehungen zu Mittelsmännern des Generals, Ministers und späteren Kanzlers [[Kurt von Schleicher]] unterhielt. Schmitt stimmte sogar Publikationen und öffentliche Vorträge im Vorfeld mit den Mittelsmännern des Generals ab.<ref>Irene Strenge, Kurt von Schleicher – Politik im Reichswehrministerium am Ende der Weimarer Republik, 2006</ref> Für die Regierungskreise waren einige seiner politisch-verfassungsrechtlichen Arbeiten, etwa die erweiterten Ausgaben von „Der Hüter der Verfassung“ (1931) oder „Der Begriff des Politischen“ (1932), von Interesse.<ref>[[Wolfram Pyta]]: Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext, in: Reinhard Mehring (Hrsg.), Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen – Ein kooperativer Kommentar, 2003, S. 14ff.</ref> Trotz seiner Kritik an [[Pluralismus (Politik)|Pluralismus]] und parlamentarischer Demokratie stand Schmitt vor der [[Machtergreifung]] 1933 den Umsturzbestrebungen von [[Kommunistische Partei Deutschlands|KPD]] und [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] gleichermaßen ablehnend gegenüber.<ref>Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, 1999. Siehe auch die Rezension des Buches von [[Michael Stolleis]], in: [[Historische Zeitschrift]], Sonderheft 19, 2000, S. 70 f. Hier heißt es: „Schmitt [ging] tatsächlich bis Ende Januar 1933 davon aus, durch eine begrenzte und kontrollierte Überschreitung des Verfassungstextes die ‚Verfassung‘ retten zu können. Diesen Eindruck gewinnt man auch aus den Tagebuchnotizen Schmitts. Seine Entscheidung, für den Nationalsozialismus zu optieren, fiel erst mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933.“</ref> Er unterstützte die Politik Schleichers, die darauf abzielte, das „Abenteuer [[Nationalsozialismus]]“ zu verhindern.<ref>Wolfram Pyta, Verfassungsumbau, Staatsnotstand und Querfront: Schleichers Versuche zur Fernhaltung Hitlers von der Reichskanzlerschaft August 1932-Januar 1933, in: Wolfram Pyta / Ludwig Richter (Hrsg.), Gestaltungskraft des Politischen, Festschrift für Eberhard Kolb, 1988, S. 173ff. Darin auch die Beschreibung der Rolle Schmitts als „juristischer Berater Schleichers“ (S. 177). Auch [[Bernd Rüthers]] urteilt: „Nach dem gesicherten Stand der Forschung [hatte] Schmitt bis zur Machtübergabe an Hitler 1933 für diesen und die Nationalsozialisten keinerlei Sympathie gezeigt. Er war zwar in seinen Grundpositionen zutiefst antidemokratisch, antiparlamentarisch und antiliberal, aber sein Ziel war es, die gleichsam ‚aristokratische‘ Diktatur des Reichspräsidenten zu legitimieren und zu stärken. Es ging […] letztlich darum, ein präsidial-autoritäres System mit plebiszitären Elementen zu errichten, zu Lasten der Rolle des Parlaments. Schmitt war […] ganz ‚der Mann Schleichers‘“. Bernd Rüthers, Anwalt des Reiches