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Die ersten Entwürfe zu einem ''Code civil'' entstanden in Frankreich in den Jahren 1793 bis 1797, während der [[Französische Revolution|französischen Revolution]]. Im Jahr 1800 berief Napoleon eine vierköpfige Kommission unter der Leitung von [[Jean-Jacques Régis de Cambacérès]] ein, die ein einheitliches Recht schaffen sollte. Außerdem waren zur Ausarbeitung des Werks [[Jean-Étienne-Marie Portalis]] (1746–1807), [[François Denis Tronchet]], [[Félix-Julien-Jean Bigot de Préameneu]] (1747–1825) und [[Jacques de Maleville]] (1741–1824) beauftragt und beteiligt. Wie in Preußen und Österreich wurde der zügig erarbeitete Entwurf der Öffentlichkeit vorgelegt, im [[Conseil d’État (Frankreich)|Conseil d’État]] unter beträchtlicher Einflussnahme Napoleons in seiner Eigenschaft als [[Französisches Konsulat|Erster Konsul]] durchberaten und nach Bereinigung um gerügte Passagen in der [[Legislative|gesetzgebenden Versammlung]] angenommen und verkündet. Napoleons persönlicher Einfluss auf die Entwicklung des Gesetzeswerks war erheblich. Er leitete mindestens 57 von 100 Sitzungen und verblüffte die juristischen Fachleute mit seiner schnellen Auffassungsgabe, der Fähigkeit, auf die Grundprobleme hinzuweisen, und immer neuen Ideen: „Was er nicht wusste, schien er vorauszusehen oder zu erahnen … Mit erstaunlicher Mühelosigkeit lernte, beurteilte, diskutierte und merkte er sich unendlich viele Dinge, ohne sie durcheinanderzubringen.“<ref>{{Literatur |Autor=Adam Zamoyski |Titel=Napoleon – Ein Leben |Verlag=C.H. Beck |Ort=München |Datum=2018 |ISBN=978-3-406-72496-1 |Seiten=351 ff. |Originaltitel=Napoleon. The Man Behind the Myth |Originalsprache=en |Originaljahr=2018 |Übersetzer=Ruth Keen/Erhard Stölting}}</ref>
 
Ein von der Kommission verfolgtes Ziel war, eine Verbindung zwischen dem kodifizierten Recht und dem Gewohnheitsrecht zu schaffen. Es entstanden neue [[Rechtsinstitut]]e, etwa im [[Erbrecht]]. Wie die deliktische [[Generalklausel]] des Art. 1382 zeigt, räumte der ''Code civil'' dem Richter Entscheidungsspielräume ein, damit er Recht im Einzelfall entwickeln kann. Um ihm diesen Freiraum zu geben, verzichtete der Gesetzgeber darauf, Lebenssachverhalte [[Kasuistik|kasuistisch]] zu fassen, und wurde so den Ideen der Aufklärung und einem politisch wie wirtschaftlich idealisierten [[Liberalismus]] gerecht.<ref name="Coing">[[Helmut Coing]]: ''Europäisches Privatrecht 1800–1914.'' München 1989., ISBN 3-406-30688-8. § 3 II., S.&nbsp;12–14.</ref><ref>Eine Sammlung des Gesetzesmaterials findet sich bei Jean Guillaume Locré de Roissy: ''La législation civile, commerciale, et criminelle de la France, ou commentaire et complément des Codes français.'' Ouvrage majeur de Locré, Bände I–XXXI (1827–1832).</ref><ref>Zur Gesetzgebungsgeschichte, André Jean Arnauld: ''Les origines doctrinales du Code civil français.'' Paris 1969.</ref>
 
In Ablösung des [[Feudalismus|altständischen]] Rechtspartikularismus sollte den Franzosen ein allgemeines Recht zur Verfügung stehen, das sich aus den aufgeklärten Dogmen der [[Vernunft]] speist. Im eigenverantwortlich mitgestaltenden und damit modernen [[Citoyen]] sollte und konnte sich das Pathos der mit großen Opfern erkämpften [[Volkssouveränität]] ausdrücken. Der Staatsbürger forderte Rechtsteilhabe ein.<ref name="Wieacker" /> Das Gedankengut der Französischen Revolution spiegelte sich in den neu formulierten Rechtsgrundsätzen wider. Deren Kerngedanken waren die [[Gleichheit]] und [[Freiheit]] aller Männer vor dem Gesetz, was die Abschaffung aller Standesunterschiede bedeutete. Der Wirtschaftsverkehr wurde [[Liberalismus|liberalisiert]] und freies individuelles [[Eigentum]] gewährt. Damit war die Beseitigung aller feudalen Lasten und Besitztitel verbunden. Von großer Bedeutung war die Einführung der [[Vertragsfreiheit]].<ref name="Coing" /> Von geistiger Strahlkraft war die strikte [[Trennung zwischen Religion und Staat|Trennung von Staat und Kirche]]. Die Frauenrechte andererseits wurden explizit eingeschränkt.<ref>Insbesondere durch den Art. 213, der die Gehorsamspflicht der Ehefrauen vorsah. Frauen erhielten wie selbstverständlich auch keinerlei Partizipationsrechte. Vgl. Christoph Sorge: ''Die Hörigkeit der Ehefrau. Entstehungsgeschichte und Entwicklungslinien von Art 213 Code civil 1804 sowie Kritik der französischen Frauenbewegung.'' In: Stephan Meder, Christoph-Eric Mecke (Hrsg.): ''Reformforderungen zum Familienrecht international.'' Band 1: Westeuropa und die USA (1830–1914). Köln u.&nbsp;a. 2015, S. 126–187.</ref> Dies ist durchaus auch Napoleons Einfluss geschuldet gewesen, dessen Frauenbild durch seine Enttäuschung über [[Joséphine de Beauharnais|Josephines]] Untreue negativ geprägt war.<ref>{{Literatur |Autor=Adam Zamoyski |Hrsg= |Titel=Napoleon: Ein Leben |Auflage= |Verlag=C.H.Beck |Ort= |Datum=2018 |ISBN=978-3-406-72497-8 |Seiten=352}}</ref>
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Der Code civil wurde nicht in seiner Gesamtheit rezipiert, wohl aber in der Weise, dass er die privatrechtlichen Kodifikationen einer langen Reihe von Ländern maßgeblich beeinflusste. So wurde das Gesetzbuch in anderen durch [[Erstes Kaiserreich|Frankreich]] in der Zeit von 1807 bis 1814 dominierten Staaten eingeführt (z.&nbsp;B. dem [[Königreich Westphalen]], dem [[Herzogtum Warschau]], im [[Königreich Holland]] und dem [[Königreich Italien (1805–1814)|Königreich Italien]]).
 
In Deutschland galt der Code unmittelbar in den von Frankreich 1798 annektierten [[Linkes Rheinufer|linksrheinischen]] Gebieten ([[Département de la Roer]], [[Département de la Sarre]], [[Département de Rhin-et-Moselle]], [[Département Donnersberg|Département du Mont-Tonnerre]]) und in den 1811 in das Imperium einverleibten nordwestdeutschen Gebieten ([[Département des Bouches de l’Elbe]], [[Département des Bouches du Weser]], [[Lippe (Département)|Lippe-Département]] und [[Ostfriesland#Von der ersten zur zweiten preußischen Herrschaft (1744–1871)|Département Ems-Oriental]]). In einigen [[Rheinbund]]staaten ([[Königreich Westphalen]], [[Herzogtum Arenberg-Meppen]], [[Großherzogtum Frankfurt]], [[Großherzogtum Berg]], [[Anhalt-Köthen|Herzogtum Anhalt-Köthen]]) wurde er ohne große Änderung eingeführt; in anderen teilweise in veränderter Gestalt, wie etwa im [[Großherzogtum Baden]] als [[Badisches Landrecht 1810|„Badisches Landrecht“]]. In wieder anderen Staaten blieb es bei Entwürfen oder Absichtserklärungen, so im [[Königreich Bayern]], im [[Großherzogtum Hessen]]<ref>[[Eckhart G. Franz]], Peter Fleck, Fritz Kallenberg: ''Großherzogtum Hessen (1800) 1806–1918''. In: [[Walter Heinemeyer]], [[Helmut Berding]], [[Peter Moraw]], [[Hans Philippi]] (Hg.): ''Handbuch der Hessischen Geschichte''. Band 4.2: ''Hessen im Deutschen Bund und im neuen Deutschen Reich (1806) 1815–1945. Die hessischen Staaten bis 1945'' = Veröffentlichungen der [[Historische Kommission für Hessen|Historischen Kommission für Hessen]] 63. Elwert. Marburg 2003., ISBN 3-7708-1238-7, S. 712.</ref> und im [[Herzogtum Nassau]].
 
In den seit dem Frieden von Campo Formio 1797 zu Frankreich gehörenden Gebieten [[Großherzogtum Luxemburg|Luxemburg]] und [[Belgien]]<ref>Der französische Code civil wurde in Belgien am 21. März 1804 eingeführt (Publikation am 3. September 1807, in-Kraft-treten am 13. September 1807), Gesetz No: 1804032150. Der Belgische Code civil hat im [[Flamen|flämischen]] Teil Belgiens die Bezeichnung: "''Burgerlijke Wetboek''". Der belgische Code civil hat bis heute einen, dem französischen Code civil sehr ähnlichen, Aufbau.</ref> blieb der Code auch nach deren späterer Unabhängigkeit in Geltung.
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In der Schweiz galt der Code civil im Gebiet des [[Kanton Genf]] (bis 1912) und im [[Kanton Jura|Berner Jura]] zunächst unmittelbar. Er lag oder liegt auch den Zivilgesetzbüchern der Kantone [[Kanton Neuenburg|Neuenburg]], [[Kanton Waadt|Waadt]], [[Kanton Freiburg|Freiburg]], [[Kanton Wallis|Wallis]] und [[Kanton Tessin|Tessin]] zugrunde.
 
Binnen weniger Jahre galt er von [[Lissabon]] bis [[Warschau]] und von Holland bis zur Küste der Adria. Mit der Niederlage Napoleons bei [[Schlacht bei Waterloo|Waterloo]] wurde seine erfolgreiche Verbreitung keineswegs gebremst: Vor allem in West- und Südeuropa (1865 [[Rumänien]]), aber auch in Nord- und Südamerika (1808/1825/1870 [[Louisiana (Kolonie)|Louisiana]], 1825 [[Haiti]], 1830 [[Bolivien]], 1845 [[Dominikanische Republik]], 1866 [[Niederkanada]], 1867 [[Québec]], 1869 [[Argentinien]], 1870 [[Mexiko]], 1876 [[Paraguay]]) oder Afrika (1875 [[Ägypten]], auch im [[Maghreb]] und den ehemaligen französischen Kolonien) orientierten sich die Gesetzbücher am Code civil. Selbst das Land des [[Klassik (Jurisprudenz)|klassischen römischen Rechts]], Italien, orientierte sich mit seinem [[Codice civile]] von 1865 am französischen Recht, und auch der 1889 ins Leben gerufene spanische [[Código Civil (Spanien)|Código Civil]] lehnte sich daran an.<ref name="Koschaker" /> Auch in [[Kongresspolen]], dem Nachfolgestaat des Herzogtums Warschau, blieb der Code civil ungeachtet der Zugehörigkeit zum [[Russisches Kaiserreich|Russischen Reich]], (ab 1826 mit Ausnahme des Personen- und [[Familienrecht]]s) in Kraft. In der [[Zweite Polnische Republik|Zweiten Polnischen Republik]] galt er weiterhin auf dem Territorium des ehemaligen Kongress-Polens.
 
Zwar stellten einige auf revolutionären Wurzeln beruhende Regelungen zugleich auch Schwächen dar: Der gleiche [[Erbrecht|Erbanspruch]] aller Kinder führte in vielen Gegenden zur Teilung des Grundbesitzes in unrentable Parzellen ([[Realteilung]]); Frauen wurden einem männlichen [[Vormund]] unterstellt und damit schlechter gestellt als zuvor; die (nun staatlich garantierte) [[Ehescheidung]] bevorteilte einseitig den Mann. Dennoch war ein besseres, im Geist der Aufklärung geschriebenes, Gesetzeswerk in Deutschland lange nicht in Sicht – auch das [[Allgemeines Landrecht|Preußische Allgemeine Landrecht]] (ALR) war dem Code civil nicht ebenbürtig.