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'''Odo Marquard''' (* [[26. Februar]] [[1928]] in [[Słupsk|Stolp]], [[Hinterpommern]]; † [[9. Mai]] [[2015]] in [[Celle]]) war ein deutscher [[Philosoph]] und [[Essayist]]. Er war ordentlicher Professor für Philosophie an der [[Justus-Liebig-Universität Gießen]] (1965–1993) und Mitglied des Münsteraner ''Collegium philosophicum'', eines Kreises der [[Ritter-Schule]],<ref>[[Mark Schweda]]: ''Joachim Ritter und die Ritter-Schule. Zur Einführung.'' Junius Verlag, Hamburg 2015, ISBN 978-3-88506-708-5.</ref> dem auch [[Hermann Lübbe]], [[Robert Spaemann]], [[Martin Kriele]] u.&nbsp;a.&nbsp;m. angehörten.<ref>Hermann Lübbe: ''Heitere Hiobsbotschaften: Nachruf auf Odo Marquard'', in: ''Zeitschrift für Ideengeschichte'', Ausgabe Frühjahr 2016 (als PDF [https://www.wiko-berlin.de/wikothek/multimedia/altgier hier] zum Download), S. 117.</ref>
 
Marquard bezeichnete sich selbst als [[Pyrrhonismus|pyrrhonischen]] [[Skeptizismus|Skeptiker]], Usualisten<ref>''Usualismus'' im Sinne Marquards meint die Haltung, an Konventionen und Traditionen respektvoll anzuknüpfen: „Zustimmung zu den Üblichkeiten der Lebenswelt, die jeder Mensch vorfindet.“ Siehe Egbert Witte: ''Skepsis und Urdoxa. Anmerkungen zur transendentalskeptischen Pädagogik'', in: Matthias Erhardt, Frank Hörner, Ina Katharina Uphoff (Hrsg.): ''Der skeptische Blick''. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, ISBN 978-3-531-17360-3, [https://books.google.de/books?id=Q-wiBAAAQBAJ&pg=PA90#v=onepage&q&f=false S. 90].</ref> und – mit der ihm eigenen Selbstironie – als „[[Transzendental]]-[[Belletrist]]en“ oder auch als „transzendentalen [[Unterhaltungskünstler|Entertainer]]“.<ref>Odo Marquard: ''Abschied vom Prinzipiellen. Auch eine autobiographische Einleitung.'' In: ''Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien''. Reclam (UB 7742). Stuttgart 1982, ISBN 3-15-007724-9, S. 4 und 9.</ref><ref>[[Stefan Groß-Lobkowicz]] : [https://www.theeuropean.de/stefan-gross/10505-was-koennen-wir-von-skeptikern-lernen Vom bleibenden Wert der Skepsis], in [[The European]], 13. Oktober 2015.</ref> Er gilt als „Virtuose des [[Bonmot]]s“.<ref>[https://www.cicero.de/kultur/nachruf-auf-odo-marquard-anti-habermas-kaempfer-gegen-die-wahrheit/59263 Nachruf auf Odo Marquard -Kämpfer gegen die Wahrheit] von [[Alexander Grau (Journalist)|Alexander Grau]], in: [[Cicero (Zeitschrift)|Cicero]], 16. Mai 2015</ref> Wegen seiner Unterhaltsamkeit, der Leichtigkeit seines Stils und seiner [[Pointe|pointiertpointierten]]en, oft doppeldeutigen Formulierungen war Odo Marquard ein viel gefragter Vortragsredner und [[Laudatio|Laudator]]. Durch seinen Wort[[witz]] und [[Esprit gaulois|Esprit]] wurde er auch jenseits der philosophischen Fachkreise bekannt.<ref>[https://www.fr.de/kultur/philosoph-marquard-11190561.html ''Philosoph Odo Marquard ist tot''], in: ''Frankfurter Rundschau,'' 12. Mai 2015.</ref>
 
== Lebensweg ==
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Odo Marquard frühen Arbeiten widmen sich besonders den Beziehungen zwischen [[Ästhetik]] und [[Therapeutik]], zum Beispiel der Wiederkehr [[deutscher Idealismus|idealistischer]] Motive [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Schellings]] in [[Sigmund Freud]]s [[Psychoanalyse]].<ref>Odo Marquard: ''Über eine Beziehung zwischen Ästhetik und Therapeutik in der Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts.''(Vortrag, Münster 22. Oktober 1962) In: ''Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Aufsätze.'' Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1973, 6. Aufl. 2017, ISBN 978-3-518-27994-6, S. 85–106.</ref>
 
Marquard gehörte zur „skeptischen Generation“ (eine Begriffsbildung des Soziologen [[Helmut Schelsky]]).<ref>Helmut Schelsky: ''Die skeptische Generation''. Eine Soziologie der deutschen Jugend'. Diederichs, Düsseldorf/Köln 1957.</ref> Mit dem Zusammenbruch 1945 „kam es zum Enttäuschungsschock; die Folge waren Prozesse der Entpolitisierung und Entideologisierung des jugendlichen Bewusstseins“.<ref>Odo Marquard: Abschied vom [[Prinzip|Prinzipiellen]]iellen. Reclam (UB 7724), Stuttgart 1981, ISBN 3-15-007724-9, S. 5.</ref>
Bei Marquard führte dieser Schock zu seiner „Wende zur [[Skeptizismus|Skepsis]]“, zu seinem „Abschied vom [[Prinzip|Prinzipiellen]]iellen“.<ref>Odo Marquard: ''Abschied vom Prinzipiellen''. Reclam (UB 7724), Stuttgart 1981, ISBN 3-15-007724-9, S. 17.</ref> Dies bedeutet eine Abkehr von [[Absolutheitsanspruch|Absolutheitspositionen]] und [[Letztbegründung]]sversuchen.<ref>Odo Marquard: ''Zur Diätetik der Sinnerwartung.'' In: ''Apologie des Zufälligen. Philosophische Bemerkungen.'', Reclam Universalbibliothek Nr. 8351, Stuttgart 1986, ISBN 3-15-008351-6, S. 53.</ref>
 
''[[Vita brevis, ars longa|Vita brevis]]'', das Leben ist kurz: Die Denkfigur der Endlichkeit durchzieht Marquards Schriften. Die kurze Lebensdauer zwinge den Menschen dazu, die Vorstellung des [[Das Absolute|Absoluten]], des Vollendeten, aufzugeben:
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| Autor= Odo Marquard |Quelle= ''Skepsis als Philosophie der Endlichkeit'', 2004<ref>Odo Marquard, in: ''Individuum und Gewaltenteilung. Philosophische Studien'', Reclam (UB 18306), Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018306-5, S. 13–22, hier S. 13.</ref>}}
 
Marquard wendet sich gegen ein Übermaß an Sinnerwartung. Die Antwort auf die Frage, ob das Leben sich lohnt, hänge eher an den nächsten als an den letzten Dingen: „Die Menschen verzweifeln nicht, solange sie immer gerade noch etwas zu erledigen haben: die Milch am Überkochen zu hindern. […] dieser kleine Sinn reicht aus, um ein Leben zu führen.“ Diese Bewertung entspricht der Deutung Camus’ in seinem Essay ''[[Der Mythos des Sisyphos]]'', man müsse sich [[Sisyphos]] als glücklichen Menschen vorstellen, weil er immer etwas zu tun hat, sei es auch eine sinnlose Tätigkeit.<ref>Odo Marquard: ''Zur Diätetik der Sinnerwartung.'' In: ''Apologie des Zufälligen. Philosophische Bemerkungen.'', Reclam Universalbibliothek Nr. 8351, Stuttgart 1986, ISBN 3-15-008351-6, S. 49&nbsp;f.</ref>
 
=== Apologie des Zufälligen ===
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** „[[Atheismus]] ad maiorem Dei gloriam“ (''Atheismus zur größeren Ehre Gottes'' – eine [[Antithetik|antithetische]] Verballhornung des lateinischen Wahlspruchs des [[Jesuitenorden#Allgemeines|Jesuitenordens]] [[Ad maiorem Dei gloriam|„Omnia ad maiorem Dei gloriam“]]<ref>Odo Marquard: ''Die Krise des Optimismus und die Geburt der Geschichtsphilosophie'', in: Odo Marquard: Skepsis in der Moderne. Philosophische Studien, Reclam (UB 18524), Stuttgart 2007, ISBN 3-15-018524-6, S. 97–100.</ref>)
** „Hier stehe ich und kann auch immer noch anders“<ref>Odo Marquard: ''Lob des [[Polytheismus]]. Über [[Mythos|Monomythie]] und Polymythie''. In: (ders.): ''Abschied vom Prinzipiellen''. Reclam (UB 7724), Stuttgart 1981, ISBN 3-15-007724-9, S. 111.</ref> ([[Parodie]] des bekannten [[Martin Luther|Luther]]-Zitates [[Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521#Legenden|„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“]])
** „Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt“<ref>Odo Marquard: ''Loriot lauréat''. ''Laudatio auf Bernhard-Viktor von Bülow bei der Verleihung des [[Kasseler Literaturpreis|Kasseler Literaturpreises]]es für grotesken Humor 1985''. In: (ders.) ''Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays'' Mit einem Nachwort von [[Franz Josef Wetz]]. Reclam Taschenbuch Nr. 20617, Stuttgart 2003/2020, ISBN 978-3-15-020617-1, S. 192.</ref> (in Variation zum [[Otto Julius Bierbaum|Bierbaum]]-Zitat [[Liste geflügelter Worte/H#Humor ist, wenn man trotzdem lacht.|„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“]])
** „Narrare necesse est“<ref name="Narrare"/> (Erzählen tut not; der lateinische Sinnspruch lautet im Original: [[Liste lateinischer Phrasen/N#Navigare|„Navigare necesse est“]], Seefahrt tut not)
 
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** „Zukunft braucht Herkunft“<ref>Odo Marquard: ''Zukunft braucht Herkunft. Philosophishe Betrachtungen über Modernität und Menschlichkeit''. In: (ders.): ''Philosophie des Stattdessen''. Reclam (UB 18049), Stuttgart 2000, ISBN 3-15-018049-X, S. 66–78.</ref>
** „Vernünftig ist, wer den [[Ausnahmezustand]] verweigert“<ref name="Bürgerlichkeit S. 91"/>
** „Bildung ist der Verzicht auf die Anstrengung, dumm zu bleiben“<ref>Odo Marquard: ''Loriot lauréat''. ''Laudatio auf Bernhard-Viktor von Bülow bei der Verleihung des [[Kasseler Literaturpreis|Kasseler Literaturpreises]]es für grotesken Humor 1985''. In: (ders.) ''Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays'' Mit einem Nachwort von [[Franz Josef Wetz]]. Reclam Taschenbuch Nr. 20617, Stuttgart 2003/2020, ISBN 978-3-15-020617-1, S. 193.</ref><ref name="Thunemann"/>
 
== Auszeichnungen ==