„Cevat Rıfat Atilhan“ – Versionsunterschied

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Cevat Rıfat kämpfte in den [[Balkankriege]]n, im Ersten Weltkrieg und im Türkischen Unabhängigkeitskrieg. Die [[Große Nationalversammlung der Türkei|Nationalversammlung]] verlieh ihm den Titel Milizengeneral.
 
Seit Ende der 1920er Jahre begann Atilhan, sich publizistisch zu betätigen und gab 1929 seine erste [[Judenfeindlichkeit|antisemitische]] Schrift heraus.<ref name="Bayraktar_155" >Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 155</ref> 1933 wurde er Mitarbeiter der in [[Izmir]] neu gegründeten Zeitschrift ''İnkılâp'', die aber bereits im Herbst 1933 von den türkischen Behörden verboten wurde. Als Nachfolgeorgan gründete Atilhan ''Millî İnkılâp'' (Nationale Revolution), deren Verbot 1934 erfolgte.<ref name="Bayraktar_155" />
 
In Izmir lernte Atilhan 1933 den deutschen Juden [[Karl Kindermann]] kennen, der ihm im gleichen Jahr noch die Türen zu einflussreichen Nazis in Deutschland öffnete.<ref>Karl Kindermann: Brief an Marvin Tokayer vom 13. Juli 1974, in: Leo Baeck Institute Jerusalem: Joseph Walks Karl Gustav Kindermann Collection 1925-19971925–1997.</ref>
 
1942 wurde er wegen angeblicher Putschpläne gegen die damalige Regierung von [[Ismet Inönü]] 11 Monate inhaftiert. Nach einer Untersuchung von [[Fevzi Çakmak]] wurde Atilhan freigelassen. 1952 wurde er als Verantwortlicher eines Attentatsversuches gegen [[Ahmet Emin Yalman]] in [[Malatya]] für 11 Monate und 5 Tage inhaftiert.<ref name="biyografi" >[http://www.biyografi.net/kisiayrinti.asp?kisiid=986 biyografi.net: Kurzbiografie in türkischer Sprache]</ref>
 
Seit 1946 schrieb er in den beiden islamischen Magazinen ''Sebilürreşad'' und ''Büyük Doğu''. Er zählte zu den Gründungsmitgliedern der ''Millî Kalkınma Partisi'' 1945 und der Türkisch-Konservativen Partei (''Türk Muhafazakar Partisi'') 1947.
 
Anfang Februar 1948 gab der Mufti von Jerusalem, [[Mohammed Amin al-Husseini]], Cevat Rifat Atilhan seine Zustimmung zur Bildung einer türkischen Legion, die sich aktiv am Kampf gegen die Juden in Palästina beteiligen sollte.<ref>[https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/EAFDE30305A5B2B8852570650067D303 UNITED NATIONS PALESTINE COMMISSION, DAILY NEWS SUMMARY 13, 11 February 1948]. Vergleiche dazu auch den Artikel [https://www.nytimes.com/1948/02/11/archives/mufti-hails-turkish-legion.html ''Mufti Hails Turkish Legion''], ''New York Times'', 10. Februar 1948, S. 14.</ref> Atilhan nahm mit dieser Legion aktiv am Kampf gegen die Juden in Palästina teil.
 
1951 gründete er selbst die antisemitische [[İslam Demokrat Partisi]].<ref>[http://www.rifatbali.com/images/stories/dokumanlar/cevat_rifat_atilhan.pdf Rıfat N. Bali: ''Cevat Rifat Atilhan''] (in türkischer Sprache)</ref>
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Im August 1964 wurde er zum Kongress Islamischer Staaten in [[Somalia]] eingeladen, wo er zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Organisation gewählt wurde. Dies war das letzte Amt seines Lebens. Er starb 1967 an einem Herzinfarkt.
 
== Wirken als Antisemit ==
Nach Athilans Ansicht war der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, den er selbst miterlebte, das Resultat einer Verschwörung von Juden, Freimaurern und [[Dönme]]. Er machte die [[Ritualmordlegende]] zum Thema seiner Werke und verbreitete, dass Juden Kinder entführten, um ihr Blut zu trinken. Von daher verwundert es auch nicht, dass Athilan zu den Bewunderern der deutschen [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|Nationalsozialisten]] gehörte und versuchte, deren antisemitische Ideen, wie sie insbesondere im [[Der Stürmer|Stürmer]] vertreten wurden, in der Türkei zu verbreiten.
 
=== Atilhans Kontakte ins nationalsozialistische Deutschland ===
Cevat Rıfats Kontakte zu den Nationalsozialisten sind unumstritten. Über deren Intensität und ihren Beginn gibt es aber sehr unterschiedliche Auffassungen. Als gesichert gilt, dass sich Atilhan 1933/1934 in Deutschland aufhielt und dabei in Kontakt zu [[Julius Streicher]] kam. Sicher ist auch, dass er Kontakte zu [[Ulrich Fleischhauer]] Unterhielt und unter dem Pseudonym ''Djev'' in dessen [[Welt-Dienst]] ebenso publizierte wie im ''Stürmer'' als ''Cev''.<ref>Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 195, und Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 107</ref> Weder Berna Pekesen noch Hatice Bayraktar konnten jedoch herausfinden, wie die Kontakte zwischen Atilhan und den Deutschen zustande kamen. Diesen „Verdienst“ beanspruchte ausgerechnet der deutsche Jude Karl Kindermann für sich, der sich wegen seiner betont antikommunistischen Propaganda einer gewissen Protektion durch die Nazis erfreuen durfte.
{{Hauptartikel|Karl Kindermann#Türöffner für einen nazifreundlichen Türken|titel1=Ein deutscher Jude als Türöffner für einen nazifreundlichen Türken}}
Kindermanns Ausführungen ist zu entnehmen, dass Atilhan mehr ideologische denn materielle Unterstützung durch die Nationalsozialisten erfahren hat, denn offenbar plagten ihn bereits in Berlin finanzielle Probleme. Auch Bayraktar befand, dass „keine staatlichen oder von der NSDAP etablierte Behörde innerhalb Deutschlands Atilhan und seine antisemitische Unternehmungen finanzierte“<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 167</ref>, und für sie gab es auch "keinen Anlass zu der Annahme, Mitarbeiter der deutschen Botschaft hätten den Wunsch oder die Mittel besessen, Atilhan bei der Gründung und Herausgabe seiner antisemitischen Zeitschrift zu unterstützen".<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 172. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Berna Pekesen im Abschnitt ''6 Forschungskontoversen: Cevat Rıfat Atilhan und der Einfluss des deutschen Nationalsozialismus in der Türkei'' ihres Buches ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 198 ff.</ref>
 
Immerhin aber erschien in dem zu Fleischhauers Imperium gehörenden „U. Bodnung-Verlag“ in Erfurt 1934 Atilhans Schrift ''Die schöne Simi Simon'', in der, so die Verlagsankündigung, „die jüdische Spionage an der türkischen Front während des [1.] Weltkrieges packend geschildert wird“<ref>Zitiert nach Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 159</ref>, und eine Anzahl antisemitischer Karikaturen von [[Philipp Rupprecht]] erschienen sowohl im ''Stürmer'', als auch in der ''Millî İnkılâp''. Bayraktar geht davon aus, „dass das türkische Blatt nicht etwa einfach nur die Zeichnungen aus der deutschen Zeitschrift kopierte, sondern dass es eine Zusammenarbeit beider Presserorgane gab“<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 156-157</ref> Darüber hinaus verweist Bayraktar auch auf Indizien, die es nahelegen, „dass Fleischhauer Atilhan im Sommer 1934 durch den Druck einer ''Millî İnkılâp''-Ausgabe unterstützte, so wie er zwei Jahre später in Budapest antisemitische, in Erfurt gedruckte Flugblätter in großer Zahl verteilen ließ. Dies wiederum würde erklären, wieso nicht nur Atilhan von einer Auflagenhöhe von 15.000 sprach, sondern sogar die ''New York Times'' von der ‚Verteilung von 10.000 Exemplaren‘ der antisemitischen Zeitschgrift sprach.“<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 173</ref>
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Fleischhauers ''Welt-Dienst'' betrieb auch die [[Welt-Dienst#Organisation von Antisemitenkongressen|Organisation von Antisemitenkongressen]]. Dadurch erhielt auch Atilhan eine weitere Plattform für eigene Aktivitäten. So behauptete er, „dass er gemeinsam mit Streicher am 4. März im Münchener Hotel ‚Königshof‘ an einem Antisemitenkongress teilgenommen hätte“.<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 161</ref> Bayraktar fand hierfür keine Bestätigung, dafür aber für einen von Fleischauer in Absprache mit Streicher für September 1934 in Nürnberg geplanten ‚antisemitischen und panarischen Weltkongress‘. „Kurz vor dem Parteitag der NSDAP wollte er [Fleischhauer] ursprünglich am 8. September einen Antisemiten-Kongress in Nürnberg veranstalten. Als die Parteizentrale in München Wind davon bekam, ließ Hitler das Treffen allerdings durch Heß kurzerhand verbieten. Man legte Fleischhauer nahe, die Teilnehmer des Kongresses nach Erfurt zu holen. Das Treffen wurde daraufhin mit einer ähnlich ausgerichteten Veranstaltung, die für den 24. September 1934 in Brüssel geplant war, zusammengelegt. Für den Kongress wählte man einen belgischen Kurort, wo sich die Teilnehmer vom 22. bis 26. September 1934 austauschten. Ziel war eine Loslösung vom lokal verankerten Antisemitismus und die Etablierung einer die nationalen Grenzen überschreitenden Zusammenarbeit. Die Treffen wurden konspirativ organisiert. Die Nationalsozialisten unterstützten die Erfurter Aktivitäten zwar, wollten jedoch nicht offiziell als Förderer in Erscheinung treten.“<ref>[[Eckart Schörle]]: ''Internationale der Antisemiten. Ulrich Fleischhauer und der „Welt-Dienst“''. In: [[WerkstattGeschichte]], Heft 51, 2009, Klartext-Verlag, Essen, S. 67. [http://werkstattgeschichte.de/wp-content/uploads/2017/02/WG51_057-072_SCHOERLE_ANTISEMITEN.pdf (PDF; 606&nbsp;kB)]. Vergleiche hierzu auch: [[Magnus Brechtken]]: „''Madagaskar für die Juden“. Antisemitische Idee und politische Praxis 1885–1945.'' München 1997, ISBN 3-486-56240-1, S. 49 ff.</ref> Atilhan war bereits Anfang August 1934 zur Teilnahme an dem für Nürnberg geplanten Kongress nach Deutschland gereist und wollte die Gelegenheit zusätzlich dafür nutzen, seine Kontakte zu deutschen Regierungsstellen und Wirtschaftskreisen zu intensivieren.<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 163 ff.</ref> In einer türkischsprachigen Kurzbiografie wird er als Präsident des Kongresses von 1934 beschrieben, wozu es aber keine weiteren Belege gibt.<ref name="biyografi" />
 
Ob Atilhan tatsächlich aus Deutschland in die Türkei zurückkehrte, um „dort eine türkische NS-Organisation zu gründen“, wie Corry Guttstadt schreibt<ref name="Guttstadt_170" >Corry Guttstadt: ''Die Türkei, die Juden und der Holocaust'', S. 170</ref>, oder ob Karl Kindermann „einen beabsichtigten Hitlerputsch in der Türkei vereitelt hat“, indem er ein für Hitler bestimmtes Atilhan-Papier gegen die Intentionen seines Autors aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte<ref>Karl Kindermann: Brief an [[Joseph Walk]] vom 14. Dezember 1976, in: Leo Baeck Institute Jerusalem: Joseph Walks Karl Gustav Kindermann Collection 1925–1997. KIndermanns Behauptung, er habe einen Hitlerputsch in der Türkei verhindert, klingt schon deshalb absurd, da eine entsprechende Anklage gegen Atilhan erst im August 1940 erhoben wurde (Corry Guttstadt: ''Die Türkei, die Juden und der Holocaust'', S. 172), zu einem Zeitpunkt also, zu dem sich Kindermann längst mit Unterstützung der Gestapo nach Japan hatte absetzen können.</ref>, muss wohl als offene Forschungsfrage stehenbleiben. Weniger zweifelhaft erscheinen dagegen weitere von Guttstadt erwähnte Atilhan-Aktionen: „Vor den Toren der Universität von Istanbul verteilte er [[Hakenkreuz]]-Anstecknadeln und bemalte einige [[Bosporus]]dampfer mit NS-Symbolen. Mit seinen Aktionen fand er jedoch keinen Widerhall.“<ref name="Guttstadt_170" />
 
=== Die Zeitschrift ''Millî İnkılâp'' und ihr Einfluss auf das Thrakien-Pogrom von 1934 ===
Für ihr nicht einmal einjähriges Bestehen hat die Zeitschrift ''Millî İnkılâp'' ein vergleichsweise großes Echo in der Erforschung der Ursachen des [[Thrakien-Pogrom 1934|Thrakien-Pogroms von 1934]] ausgelöst. Ihre am ''Stürmer'' orientierte antisemitische Hetze gipfelte in Beiträgen, „in denen erstmals in der Geschichte der türkischen Presse exzessive Judenfeindlichkeit betrieben wurde. Die ''Millî İnkılâp'' bezeichnete sich selbst als eine ‚überschwänglich nationalistische‘ ''(taşkın milliyetçi)'' politische Zeitschrift und verbat sich durch einen Schriftzug auf der zweiten Seite, Anzeigenaufträge von Juden aufzunehmen. In ihr erschienen aus dem ''Stürmer'' stammende Presseartikel und Karikaturen, aber auch Eigenproduktionen, die sich hauptsächlich mit den ‚verräterischen Tätigkeiten‘ und der ‚Verjudung der Türkei‘ befassten.“<ref>Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 194</ref> Dieses Profil der Zeitschrift führte zu der Frage, ob es ein aus Deutschland importierter Antisemitismus war, als dessen Sprachrohr Atilhan und seine Zeitschrift galten, der das Thrakien-Pogrom vorbereitete und auslöste. Diese These geht vor allem auf den Publizisten Avner Levi zurück, der meinte, „die antijüdischen Ausschreitungen seien von türkischen Ablegern deutscher Nationalsozialisten inszeniert worden“<ref>Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 198</ref>, womit er an erster Stelle Cevat Rıfat Atilhan und dessen ''Millî İnkılâp'' meinte.
 
Auch wenn Avner Levi nach Berna Pekesen das Verdienst zukommt, in den 1990er Jahren zum ersten Mal eine kleine Öffentlichkeit über die antijüdischen Exzesse des Jahres 1934 informiert zu haben<ref>Berna Pekesen: ''Die verschwiegene Vertreibung der Juden aus Thrakien 1934'', S. 4</ref>, kommt sie dennoch zu dem Schluß, dass die von „Levi postulierte Rolle Atilhans bei den Ausschreitungen zumindest zu relativieren“ sei.<ref name="Pekesen_17" >Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 17</ref> Wie zuvor schon Guttstadt sieht auch sie den Auslöser für die Pogrome in Thrakien nicht in einem „importierten Antisemitismus“<ref>Corry Guttstadt: ''Die Türkei, die Juden und der Holocaust'', S. 184</ref>, sondern macht geltend, dass innertürkische Kreise „ein gewisses Interesse daran hatten, es so aussehen zu lassen, als sei der Pogrom in Thrakien und an der Agäis von panturkistisch-antisemitischen Personen provoziert worden“.<ref name="Pekesen_17" /> Guttstadt machte deutlich, dass es nicht nur eine ambivalente Haltung der türkischen Regierung gab, die sich darin zeigte, dass sie einerseits Ausschreitungen gegen Juden wortreich verurteilte, gleichzeitig jedoch antijüdische Maßnahmen duldete oder unter der Hand selbst anregte<ref>Corry Guttstadt: ''Die Türkei, die Juden und der Holocaust'', S. 193</ref>. Sie verwies auf die staatliche Leugunung des Antisemitismus in der Türkei und darauf, dass die Rolle der [[Cumhuriyet Halk Partisi|CHP]] und der staatlichen Stellen während der Ausschreitungen nie untersucht worden seien.<ref>Corry Guttstadt: ''Die Türkei, die Juden und der Holocaust'', S. 192</ref> Ähnlich argumentiert auch Perkesen, wenn sie darauf hinweist, „dass auch die kemalistische Presse und die Institutionen der CHP (Volkshäuser und deren Veröffentlichungen) sich ab Mitte der Dreißiger Jahre zunehmend judenfeindlicher Stereotypen befleißigten. Wie noch darzustellen ist, wurden jedenfalls auch in den thrakischen Ortschaften bereits Mitte der Zwanziger Jahre fremdenfeindliche, wegen der deutlichen Präsenz der jüdischen Bevölkerung in dieser Region auch eindeutig antijüdische Hetzkampagnen durchgeführt, die von den Studentevereinigungen, der lokalen kemalistischen Presse und den Volkshäusern initiiert worden waren. In ihrem nationalistischen Eifer standen diese der antisemitischen Publizistik einer ''Millî İnkılâp'' in nichts nach.“<ref>Berna Pekesen: Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942, S. 201-202</ref>
 
Vor diesem Hintergrund ist Perkesen kaum zu widersprechen, wenn sie feststellt, die „Schlussfolgerung, erst die permanente Hetze gegen das Judentum in dem Blatt Millî İnkılâp hätten die antisemitischen Übergriffe ausgelöst“, sei zu simplifizierend.<ref>Berna Pekesen: Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942, S. 16</ref> Hatice Bayraktar konnte zudem zeigen, dass aufgrund der geringen Rezeption der Zeitschrift eine Initialzündung der Pogrome durch die ''Millî İnkılâp'' ausgeschlosen werden kann. Sie kam zu dem Schluss, dass die Auflagenhöhe der Zeitschrift kaum höher als bei 10.000 bis 15.000 Exemplaren gelegen haben dürfte und verweist auf den niedrigen Alphabetisierungsgrad in der damaligen Türkei (1935 = 16 %), woraus sich ergebe, dass ''Millî İnkılâp'' überhaupt keinen „nennenswerten Anteil der Einwohnerschaft des thrakischen Generalinspektorats erreicht haben kann. Bereits der türkische Historiker Ayhan Aktar schrieb daher, dass der Zeitschrift schwerlich die Hauptschuld an den antisemitischen Unruhen zugeschrieben werden kann.“<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 147</ref>
 
Bayraktar verweist auch auf zeitliche Verzögerungen bei der Umsetzung der von der Regierung beschlossenen Schließung der Zeitschrift, die es Atilhan ermöglichten, noch eine Ausgabe, die letzte von insgesamt sechs, zu produzieren. Für sie ist es deshalb naheliegend, zu vermuten, „dass es Fürsprecher von ''Millî İnkılâp'' gab, die eine schnelle Schließung der Zeitschrift zu verhindern wussten. [..] Der türkischen Regierung müssen, so ist anzunehmen, bereits nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe Informationen über den Charakter der Zeitschrift vorgelegen haben. Die türkische Führung hat demnach die in ''Millî İnkılâp'' veröffentlichten antisemitischen Artikel bewusst toleriert, wohl weil sie ihr aus politischen Gründen sehr gelegen kamen, denn ansonsten wäre ein Verbot des Hetzblattes vermutlich schon viel früher erfolgt.“<ref>Hatice Bayraktar: ''»Zweideutige Individuen in schlechter Absicht«'', S. 154</ref> Pekesen bestätigt diese Vermutungen im Rückgriff auf Unterlagen des Deutschen Außenministeriums: {{Zitat|Nach dem Verbot seiner Zeitschrift am 11.Juli 1934 hatte sich nun auch Atilhan selbst an die Deutsche Botschaft gewandt und um finanziellen Zuschuss für die Herausgabe seines Buches ‚Suzi Libermann‘ gebeten. In dieser Unterredung habe er von dem ‚großen Erfolg‘ der von ihm ‚geführten judenfeindlichen Bewegung in der Türkei‘ berichtet. Er habe es verstanden, insbesondere auch die Kreise der Armee und der Jugend über die Bedeutung des Judentums aufzuklären, seine Zeitschrift habe reißenden Absatz gefunden. Die Regierung habe zwar auf Druck dcr Sowjetbotschaft (!) sein Blatt verboten, sei aber trotz alledem sehr glimpflich mit ihm verfahren: Ankara habe ihn vorher benachrichtigt und ihm gestattet, die Nummer 6 rasch noch erscheinen zu lassen, an deren Vertrieb man ihn nicht hindern werde. Er wende sich nun an die deutschen amtlichen Stellen, weil er angesichts der deutschfeindlichen Haltung der türkischen Juden eine ‚Interessengemeinschaft‘ voraussetze. Er brauche nur eine kleine finanzielle Zuwendung, auf keinen Fall aber wolle er in den
Verdacht kommen, sich von ausländischer Seite bezahlen zu lassen.<ref>Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 200</ref>}} Von deutscher Seite aus sei dieser Bitte aber nicht entsprochen worden, weil es die Maxime des Botschafters gewesen sei, „sich von den internen Angelegenheiten der Türkei fernzuhalten und sich stattdessen auf die Verbreitung von deutschfreundlichen Meldungen in der türkischen Presse zu konzentrieren.“<ref>Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 201</ref> Atilhans Selbstüberschätzung hat diese Zurückweisung durch die Deutschen nicht geschadet. Noch 1951 rühmte er sich: {{Zitat|Durch meine wahrhaftigen und enthusiastischen Veröffentlichungen in der ''Millî İnkılâp'' Anfang 1934 geriet das Volk in Thrakien und an den Dardanellen zu Recht in Aufwallung und Begeisterung. Das Volk war schon mehrmals den Schwindeleien einer bestimmten Minderheitsbevölkerung aufgesessen. In der Folge kam es zu einer Migrationsbewegung der Juden, die scharenweise nach Istanbul strömten.<ref>Cevat Rıfat Atilhan, zitiert nach: Berna Pekesen: ''Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien 1918-19421918–1942'', S. 201</ref>}}
 
== Werke ==