„Prähistorische Musik“ – Versionsunterschied
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[[Datei:39 69 73 1 001 bearbeitet.jpg|mini|Flöte aus Gänsegeierknochen in vier Ansichten, [[Vogelherdhöhle]] (40.000 Jahre alt, Aurignacien), UNESCO-Welterbe „[[Höhlen und Eiszeitkunst im Schwäbischen Jura]]“, [[Museum der Universität Tübingen]]]]
[[Datei:Flauta paleolítica.jpg|mini|Flöte 1 aus dem [[Geißenklösterle]], 35.000 bis 40.000 Jahre alt (Nachbildung)]]
'''Prähistorische Musik''' umfasst die aus der [[Urgeschichte]] und [[Frühgeschichte]] stammenden [[Artefakt (Archäologie)|Fundobjekte]], die mutmaßlich als [[Musikinstrument]]e und sonstige [[Schallerzeugung|Klangerzeuger]] dienten, und sämtliche [[musik]]alische Ausdrucksformen der Menschheit von den ersten anatomischen Voraussetzungen und technologischen Möglichkeiten bis zum Beginn der [[Frühe Hochkulturen|frühen Hochkulturen]], so wie sie von der Musikarchäologie mit den analytischen Methoden der [[Archäologie]] und der [[Musikwissenschaft]] rekonstruiert werden. Strittig ist die Frage, inwieweit Erkenntnisse der [[Musikethnologie]] über Kulturen, in denen den Fundobjekten ähnliche Klangwerkzeuge – in erster Linie bestimmte [[Flöte]]n und [[Idiophon]]e – bis heute verwendet werden, hierbei Rückschlüsse zulassen.
== Musikarchäologie ==
Die [[Musikarchäologie]] liefert durch die Auswertung von Funden wichtige Hinweise auf die Lebensweise der Menschen in
Beobachtungen in heute noch bestehenden [[Urvölker|traditionellen Kulturen]] können Aufschluss darüber geben, wie die prähistorischen Menschen ihre Instrumente nutzten. Zum Beispiel ist die
▲Die Musikarchäologie liefert durch die Auswertung von Funden wichtige Hinweise auf die Lebensweise der Menschen in [[Urgeschichte|prähistorischer Zeit]]. Die Stufen der menschlichen Entwicklung von der Verwendung von Stein als Werkstoff bis zur Gewinnung und Nutzung von Metallen spiegeln sich auch in den Musikinstrumenten wider. [[Geschlossener Fund|Fundzusammenhänge]] und – in späteren geschichtlichen Epochen – bildhafte Überlieferungen (Malereien, Plastiken, verzierte Gefäße) zeugen von verschiedenen Typen von Instrumenten und deren Verwendung.
▲Beobachtungen in heute noch bestehenden [[Urvölker|traditionellen Kulturen]] können Aufschluss darüber geben, wie die prähistorischen Menschen ihre Instrumente nutzten. Zum Beispiel ist die Trommel im eurasischen [[Schamanismus]] auch heute noch eines der wichtigsten Geräte. Die [[Eskimo]]s leben in sehr ähnlichen klimatischen Verhältnissen wie die Jäger und Sammler des [[Jungpaläolithikum]]s. Sie verfügen über eine Ausstattung von Perkussionsgeräten wie Trommeln oder Schwirrhölzer. Im Gegensatz zu Perkussionsgeräten finden heute Aerophone meist nur bei rituellen Handlungen eine Verwendung. Sie sind auch nicht als Signal oder Lockmittel bekannt.<ref>Hansjürgen Müller-Beck, Nicholas J. Conard, Wolfgang Schürle (Hrsg.): ''Eiszeitkunst im Süddeutsch-Schweizerischen Jura. Anfänge der Kunst.'' Stuttgart 2001.</ref>
== Musik, Sprache und die Entwicklung des Menschen ==
Die wissenschaftlichen Theorien über die frühesten Formen von Musikausübung korrespondieren mit denen zum frühesten [[Paläolinguistik|Auftreten der Sprache]]. Für den Frühmenschen ist die [[Natur]] der Ansprechpartner. Durch die [[Imitation (Musik)|Nachahmung]] von Klängen und dem Bewusstwerden der Imitation beginnt der Mensch, auch sich selbst zu reflektieren. Für die Entwicklung der Urzeitsprache gilt: Je eingänglicher der Rhythmus, desto leichter fällt die Wiederholung und umso mehr stellt sich die Bedeutung heraus.<ref>Nettl 2000, 463.</ref> Die Wahrnehmung ist als schon einmal dagewesen vorstellbar. Die frühen Schriften der [[Griechische Kultur|griechischen Kultur]] sind für den musikalischen Vortrag bestimmt und enthalten wertvolle Informationen zum kulturellen und technologischen Fortschritt ihrer Zeit. Die vermehrte Verwendung von [[Schrift]] und Sprache zur Organisation und Ordnung der [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] ist im Europa der römischen Imperialzeit weitgehend bekannt.
Musik ist damals und heute im sozialen Verhalten inbegriffen: vom täglichen Nahrungserwerb über Liebe und Fortpflanzung bis zum Begräbnis.
== Geschichtlicher Überblick ==
Die ältesten Funde prähistorischer Musikinstrumente, aus Stein und Knochen, datieren aus der Zeit des ersten Erscheinens des anatomisch modernen Menschen in Europa vor etwa 45.000 Jahren. Da aus dieser Zeit keine Quellen in schriftlicher Form vorhanden sind, können nur die Funde selbst als Datenbasis dienen. Der Erhaltungszustand der ältesten Funde ist schlecht. Zwar sind Materialien wie [[Knochen]] oder [[Geweih]] sehr stabil, doch sind sie oft nur in Bruchstücken erhalten.<ref>Nicholas J. Conard u. a. ''Eiszeitkunst im Süddeutsch-Schweizerischen Jura. Anfänge der Kunst.'' Stuttgart 2001.</ref>
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=== Idiophone ===
[[Datei:Flûte paléolithique (musée national de Slovénie, Ljubljana) (9420310527).jpg|mini|hochkant| Als Knochenflöte bezeichneter Fund aus der [[Divje babe|Divje-babe]]-Höhle]]
* ''Schrapper'' sind gerippte Objekte, die durch Schrubben angespielt werden und durch Ratschen bzw. Kratzen Rhythmen markieren. Otto Seewald überliefert 1934 den Einsatz solcher Perkussionsgeräte in der Nacht vor dem Aufbruch zur Jagd bei den nordamerikanischen [[Huicholen|Huichol]]-Indianern. In der Pekarna-Höhle wurde, zusammen mit Musikinstrumenten, ein Stück in der Form eines Lochstabes geborgen. Funde: [[Geißenklösterle]] bei Blaubeuren (bandförmiges Geweihstäbchen und gekerbte Ulna eines Kolkraben); [[Dolní Věstonice]] (Wolfsknochen, Gravettien); Brillenhöhle bei Blaubeuren (gekerbte Elfenbeinbänder,
* ''Trommelschlägel:'' Ein T-förmiges Rentiergeweih-Artefakt bildet ein Äquivalent zu gewinkelten Schlägeln wie sie beim Spielen von Rahmentrommeln gebraucht werden. Fund: Brillenhöhle bei Blaubeuren (
* ''Stalagmiten und Stalaktiten als Klangkörper:'' Tropfsteine aus den Höhlen Südfrankreichs (Dordogne) zeigen Schlagspuren.
=== Aerophone ===
* ''Flöten:'' Bereits aus dem [[Mittelpaläolithikum]] gibt es einige durchlochte Knochen, die als Flöten interpretiert werden ([[Knochenflöte]]), wie die Neandertaler-Flöte aus der Höhle [[Divje babe Höhlen|Divje babe I]] in [[Slowenien]]. Dem wird entgegengehalten, dass diese Löcher durch Verbiss von [[Fleischfresser|fleischfressenden Tieren]] entstanden sein könnten und nicht durch menschliche Bearbeitung.<ref>G. Albrecht, C.-S. Holdermann, T. Kerig, J. Lechterbech, J. Serangeli: ''„Flöten“ aus Bärenknochen – die frühesten Musikinstrumente?'' Archäologisches Korrespondenzblatt 28, 1998, S. 1–19.</ref><ref>F.
[[Datei:Schwirrgerätpritzerbe.JPG|mini|[[Mittelsteinzeit]]liche Schwirrgeräte aus [[Pritzerbe]]. Im [[Kreismuseum Jerichower Land]]]]
* [[Pfeife (Tonerzeuger)|Pfeifen]] und Hörner
** ''Phalangenpfeifen:'' Pfeifen von Finger- oder Zehenknochen in hohen etwas leisen Tönen spielen bei Jagdhandlungen und Fruchtbarkeitsritualen und über das Ende der letzten Nacheiszeit hinaus eine tragende Rolle.
** ''Langknochenpfeifen:'' Sie werden von Bären-, Schwanen- oder auch von menschlichem Oberschenkelknochen hergestellt, und weisen bereits einen größeren Tonumfang auf.
** ''Querflöten-Pfeifen:'' Solche Musikalien treten entweder mit einem oder beiden Enden verschlossen und mit ein oder mehreren Grifflöchern auf. Es besteht die Möglichkeit zum Erzeugen von Naturtonleitern und auch von Flageolettetönen (Erzielen von hohen Tonstufen durch überblasen). Als [[Querflöte]] angesprochen wird der Fund aus der [[Istállóskö-Höhle]] in Ungarn. Die vollkommenste paläolithische Flöte stellt die 1953 in der Station Molodova 5 ([[Dnister|Dnestr]]-Ufer) geborgene dar. Über den Vergleich mit dem gehörnten Wesen von La Trois Ferres (Höhlenmalerei: Frankreich) beschreibt der Prähistoriker [[Alexander Häusler (Prähistoriker)|Alexander Häusler]] mögliche Spielweisen. Flöten standen bei Jagd- und Fruchtbarkeitszaubern und zum Anlocken von Tieren.<ref>Häusler 1960, 152.</ref>
** ''
* ''[[Schwirrgerät
== Musikinstrumente aus Keramik und Metall ==
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=== Idiophone ===
Das Musizieren in der Mittelsteinzeit [[Mesolithikum]] ist stark von der Lebensweise als Jäger und Sammler geprägt.
Die Verwendung von Ton als Werkstoff in der Jungsteinzeit ([[Neolithikum]]) wirkt sich auf Bauweise und Vielfalt der Instrumente aus. Das Kulturleben der Menschen ändert sich
* ''Tonrasseln:'' Die Funktion von kleineren [[Rassel
* ''Tonglocken:'' [[Glocke
* ''Membranophone/Tontrommeln:'' [[Tontrommel (Archäologie)|Tontrommeln]] tragen zur entscheidenden Belebung des Tonklanges im Keramikkulturzyklus bei. Das Spannen der Felle erfolgt zunächst über Binden und Knüpfen oder über das Anbringen von Gewichten. Die geringe Anzahl der als Tontrommeln angesprochenen Funde hängt auch damit zusammen, dass viele nicht als solche erkannt worden sind. Die als walzenförmig angesprochene Trommel der Trichterbeckenkultur (Polen: Mrovino),<ref>Hickmann, 1997, 942. Abb. 6</ref> sowie die Tontrommel aus Brozany nad Ohrì<ref>Zagiba, 1976, S. 20, Taf. 6.</ref> in Böhmen weist unter dem Rand eine Reihe von durchlochten Fortsätzen zum Anbinden und Straffen der Membran auf. Die urnenfelderzeitliche Keramiktrommel aus [[Inzersdorf-Getzersdorf]] in Österreich<ref>Pomberger 2011, 34.</ref> wurde wohl mit Hilfe eines Spannringes, der um den Fuß geschlungen wurde und durch den die Spannschnüre gezogen wurden, bespannt.
Der Nachweis eines ringförmigen Trommelrahmens entstammt der Dorset-Kultur. Diese Paleo-Eskimo-Kultur der Arktis wird wesentlich früher eingestuft und ab 500 vor unserer Zeitrechnung genannt.<ref>Conard u. a. 2001, Katalog: 127.</ref>
=== Aerophone ===
* ''[[Gefäßflöte
* ''[[Panflöte]]n oder Syringen aus Knochen, Buchsbaumholz, Keramik, Bronze:'' Aus dem frühkupferzeitlichen (4. Jahrtausend v. Chr.) [[Gräberfeld Mariupol|Gräberfeld von Mariupol]] in der Südukraine stammt eine Panflöte oder Syrinx aus sieben oder acht unterschiedlich langen, ritzverzierten Vogelröhrenknochen.<ref>Sölder 2008, 226</ref> Das Fragment der Bronze-Syrinx aus Sanzeno im Trentino gibt einen Hinweis auf die heidnischen Rituale oder Pagane während der [[La-Tène-Zeit]] ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. Die [[Situla (Gefäß)|Situlenkunst]] überliefert Panflöten im Zuge von Prozessionen, beim musikalischen Wettstreit oder Zusammenspiel und auch als Soloinstrument zur Untermalung im festlichen Rahmen. Im griechischen und italischen Raum stehen Syringen mit dem Hirtenberuf in Kontext. In archäologischem Kontext wird die Panflöte also als Syrinx bezeichnet. Das Fundstück aus Sanzeno und die im Folgenden genannte Harfe aus [[Fritzens]] (Tirol) gibt einen weiteren Hinweis auf die kulturelle Einheit der Menschen nord- und südwärts der Alpen.
=== Chordophone ===
== Literatur ==
* Nicholas J. Conard u. a.: ''Eiszeitkunst im Süddeutsch-Schweizerischen Jura, Anfänge der Kunst''. Stuttgart 2001.
* [[Ricardo Eichmann]] (Hrsg.), Lars-Christian Koch: ''Musikarchäologie: Klänge der Vergangenheit'' Theiss 2015, ISBN 978-3-8062-3007-9
* [[Francesco
* Alexander Häusler: ''Neue Funde steinzeitlicher Musikinstrumente in Osteuropa.'' In: ''[[Acta Musicologica]].'' Vol. 32 (Apr.–Sep., 1960) S. 151–155.
* [[Ellen Hickmann]]: ''Westeuropa. Steinzeit/Bronzezeit/Eisenzeit.'' In: Ludwig Finscher (Hrsg.): ''[[Die Musik in Geschichte und Gegenwart]].''
* Ellen Hickmann, Alexander Häusler: ''Musikarchäologie.'' In: MGG Online, November 2016
* Trajanka Jovcevska: ''Globular flute.'' ED. Archaeology. Cultural heritage Protection office. 2007.
* Drago Kunej, Ivan Turk: ''New Perspectives on the Beginnings of Music: Archeological and Musicological Analyses of a Middle Paleolithic Bone “Flute”.'' In: ''The Origins of Music.'' Massachusetts 2000, S. 235–268.
* Iain Morley: [https://www.researchgate.net/publication/247936496_The_Evolutionary_Origins_and_Archaeology_of_Music ''The Evolutionary Origins and Archaeology of Music.''] Darwin College Research Report, Cambridge University 2003
* Beate Maria Pomberger: ''Eine frühneolitische Gefäßflöte von Brunn am Gebirge.'' Archäologie Österreichs 20/2, 2009, 55–58.
* Beate Maria Pomberger: ''Trommeln in der Urgeschichte. Das Beispiel der Keramiktrommel aus Inzersdorf ob der Traisen, Niederösterreich.'' Archäologie Österreichs 22/2, 2011,
* Beate Maria Pomberger: ''Wiederentdeckte Klänge. Musikinstrumente und Klangobjekte der Epochen Neolithikum, Bronzezeit, Eisenzeit und Römische Kaiserzeit im Gebiet zwischen der Salzach und dem Donauknie
* Otto Seewald: ''Die Lyrendarstellungen der ostalpinen Hallstattkultur.'' In: Hellmut Federhofer (Hrsg.): ''Festschrift Alfred Orel zum 70. Geburtstag.'' Wien 1960, S. 159–171.
* Peter Stadler: ''Die frühneolithische Siedlung von Brunn am Gebirge, Flur Wolfholz, 5650–5150 v. Chr. und die Entstehung der Linearbandkeramik.'' Archäologie Österreichs 20/2, 2009, 48–54.
* Winfried Schrammek: ''Über Ursprung und Anfänge der Musik.'' Leipzig 1957.
* Wolfgang Sölder: ''Das Fragment einer latènzeitlichen Panflöte aus Sanzeno, Trentino.'' In: Claudia Sporer-Heis (Hrsg.): ''Tirol in seinen alten Grenzen.'' Festschrift für Meinrad Pizzini zum 65. Geburtstag. Innsbruck 2008, S. 223–246.
* [[Gerhard Tomedi]]: ''Zur vorgeschichtlichen Musik im Raum Alttirol und im Südalpenraum.'' In: Kurt Drexel (Hrsg.): ''Musikgeschichte Tirols: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.'' Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2004, S. 11–37.
* Franz Zagiba: ''Musikgeschichte Mitteleuropas I.'' Erster Teil. In: Franz Zagiba (Hrsg.): ''Forschungen zur älteren Musikgeschichte. Veröffentlichungen des Musikwissenschaftlichen Institutes der Universität Wien.'' Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1976, S. 7–59, Katalog S. 160 ff.
== Einzelnachweise ==
<references />
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