Die '''linguistische Wende''' (engl.: '''{{lang|en|linguistic turn}}''') – auch „'''sprachkritische Wende'''“, „'''sprachanalytische Wende'''“ oder „'''Wende zur Sprache'''“ genannt – bezeichnet Bemühungen insbesondere seit Anfang des 20. Jahrhunderts in der [[Philosophie]], [[Literaturwissenschaft]] und [[Linguistik]], sprachliche Vermittlungsformen genauer zu untersuchen. Diesen Forschungsschwerpunkt übernahmen zahlreiche Vertreter dieser Fachgebiete, aber die Auswirkungen betrafen auch die meisten anderen [[Geisteswissenschaft|Geistes-]] und [[Sozialwissenschaft]]en. Der Ausdruck „linguistic turn“ wurde geprägtin durchden 1950er Jahren von [[Gustav Bergmann (Wissenschaftstheoretiker)|Gustav Bergmann]]<ref>Gustav undBergmann: wurde''Logic bekanntand Reality.'' Madison 1964.</ref> geprägt und durch eine [[1967]] von [[Richard Rorty]] herausgegebene gleichnamige [[Anthologie]] bekannt.<ref>Rorty 1967, S. 9 der Verweis auf Bergmann.</ref>
Der Begriff des ''linguistic turn'' bezeichnet damit eine Reihe sehr unterschiedlicher Entwicklungen im abendländischen Denken des 20. Jahrhunderts, denen allen gemeinsam eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Vorstellung zugrundeliegtzugrunde liegt, Sprache sei ein „transparentes Medium“, um die Wirklichkeit zu erfassen bzw. zu kommunizierenvermitteln. An die Stelle dieser Sichtweise tritt stattdessen die Auffassung, Sprache sei eine „unhintergehbare Bedingung des Denkens“. Demnach ist „alle menschliche Erkenntnis durch Sprache strukturiert“; die Realität jenseits von Sprache wird als „nicht existent“ oder aber „zumindest unerreichbar“ angesehen. Die [[Reflexion (Philosophie)|Reflexion]] des Denkens, vor allem die Philosophie, wird damit zur Sprachkritik; eine Reflexion sprachlicher Formen -– auch in der Literatur -– kann so gesehen nur unter den Bedingungen des reflektierten Gegenstandes, eben der Sprache, erfolgen.<ref>Klaus Stierstorfer: ''Linguistic turn.'' In: Ansgar Nünning (Hrsg.): ''Grundbegriffe der Literaturtheorie.''. Metzler Verlag, Stuttgart und/ Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S. 147f.</ref>
== Historische Entwicklung ==
Erste Anzeichen einer sprachkritischen Wende finden sich bereits bei verschiedenen [[Scholastik|antischolastischen]] [[Rhetorik|Rhetorikern]]ern der italienischen [[Renaissance]], beispielsweise bei [[Lorenzo Valla|L. Valla]], später mehrfach bei verschiedenen Autoren wie [[Giambattista Vico|G. Vico]] oder, [[Johann Georg Hamann|J.G.]] Hamannoder [[Carl Leonhard Reinhold]], sowie im 19. Jahrhundert in der philosophischen Gedankenwelt F.W. Nietzsches[[Nietzsche]]s, der z. B. das „Zuchthaus der Sprache“ problematisiert. Ebenso finden sich deutliche Anklänge einer ''Wende zur Sprache'' auch in der Dichtung [[Stéphane Mallarmé|St. Mallarmés]]s.<ref name="Stierstorfer 2004">Klaus Stierstorfer: ''Linguistic turn.'' In: Ansgar Nünning (Hrsg.): ''Grundbegriffe der Literaturtheorie.''. Metzler Verlag, Stuttgart und/ Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S. 147.</ref>
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird das Problem der Intransparenz der Sprache [[Paradigma|paradigmatischparadigma]]tisch von [[Ludwig Wittgenstein|L. Wittgenstein]] in zwei kontrastiven Erklärungsversuchen thematisiert. Wittgensteins Frühwerk des ''[[Tractatus logico-philosophicus|Tractatus]]'' verbindet sich dabei in sehr einflussreicher Form mit Ansätzen aus der [[analytische Philosophie|analytischen Philosophie]] um [[Gottlob Frege|G. Frege]], [[George Edward Moore|G.E. Moore]], [[Bertrand Russell|B. Russel]] und später des „''[[Wiener Kreis|Wiener Kreises]]“es'' in dem Bemühen, „erkannte Verzerrungen oder Unschärfen der Sprache mit den Mitteln der Logik zu beseitigen bzw. zu vermeiden“.
Wittgenstein revidiert vor allem die in der Philosophie bzw. [[Erkenntnistheorie]] zuvor angenommene oder unterstellte Statik einer [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Abbildtheorie der Sprache]] in seinen späteren Schriften zu der Vorstellung unabhängiger „[[Sprachspiel]]e“, deren Regeln nur durch gesellschaftlich vermittelte Erfahrung, nicht aber durch Reduktion auf eine logische Essenz begriffen werden könnten.<ref>Klaus name="Stierstorfer: ''Linguistic turn.'' In: Ansgar Nünning (Hrsg.): ''Grundbegriffe der Literaturtheorie''. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-10347-1, S." 147.</ref>
Auch die vor allem von [[John Langshaw Austin|J.L. Austin]] geprägte ''[[Philosophie der normalen Sprache|ordinary language philosophy]]'' wendet sich in ähnlicher Weise von der Betrachtung logischer SprachspieleSprachideale hin zur Untersuchung der Aussageweisen alltäglicher Sprache als Ausdruck menschlicher Tätigkeit und gesellschaftlicher Praxis. Im Allgemeinen verliert ein Text nach Austinsdieser Auffassung seine „unilineare Korrelierbarkeit mit einer bestimmten Bedeutung“; diese wird nach Austin vielmehr in den gesellschaftlich determinierten Prozessen von Produktion, Reproduktion und Rezeption verhandelt und bleibt vieldeutig bzw. „multivalent“.<ref>Klaus name="Stierstorfer: ''Linguistic turn.'' In: Ansgar Nünning (Hrsg.): ''Grundbegriffe der Literaturtheorie''. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004," ISBN 3-476-10347-1, S. 147.</ref>
Sich aus dieser Betrachtungsweise ergebende Probleme und Fragestellungen werden auch in der [[Hermeneutik]] [[Hans-Georg Gadamer|H.-G. Gadamers]]s und der [[Rezeptionsästhetik|Rezeptionsästhetik]] der ''„KonstanzerKonstanzer Schule“Schule'']] thematisiert.
Der individualisierenden Betrachtungsweise dieser Konzeptionen steht das Systemdenken der französischen Sprachbetrachtung gegenüber, das in der Nachfolge der [[Semiotik]] [[Ferdinand de Saussure|F. de Saussures]]s in den [[Strukturalismus|strukturalistischen]] und [[Poststrukturalismus|poststrukturalistischen]] Ansätzen und Theorien Sprache als ein Regelsystem von Zeichen begreift, dem der Einzeltext unterliegt, ohne es je ganz zu realisieren. Nach Auffassung der Strukturalisten ist dieses linguistische Paradigma immer anwendbar, wenn sich ein Phänomen als Zeichensystem darstellen lässt.<ref>Klaus name="Stierstorfer: ''Linguistic turn.'' In: Ansgar Nünning (Hrsg.): ''Grundbegriffe der Literaturtheorie''. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2004," ISBN 3-476-10347-1, S. 147.</ref>
== Philosophische Grundlagen ==
Als „sprachbezogene Wende“ bezeichnet man in der [[Philosophie]] eine Entwicklung hauptsächlich des [[20. Jahrhundert]]s, die mit einer verstärkten Hinwendung zur [[Sprache]], d. h. der Verwendung und Bedeutung sprachlicher Äußerungen, einhergeht. VieleFür viele Vertreter des ''linguistic turn'' hattenstand das Forschungsprogramm,nun nicht mehr auf dem Forschungsprogramm, „[[Ding an sich|Dinge an sich]]“ zu untersuchen, sondern die sprachlichen Bedingungen zu analysieren, wie von Dingen gesprochen wird. Man kann für diese Wende eine Parallele zu derjenigen Kants[[Immanuel Kant]]s behaupten: Kants „[[Kopernikanische Wende]]“ ging damit einher, nicht mehr Dinge an sich selbst zu beschreiben, sondern Bedingungen, sie zu erkennen, die in der Struktur der Vernunft liegen. An die Stelle der [[Metaphysik]] als erster Philosophie treten Strukturen des Geistes (lat. ''mens''), weshalb einige Autoren<ref>Das Schema wird u. a. bei [[Herbert Schnädelbach]] gebraucht; für Stellennachweise und Kritik daran vgl. z. B. Claus Zittel: ''Theatrum philosophicum:'': Descartes und die Rolle ästhetischer Formen in der Wissenschaft, Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 22, Akademie Verlag, Berlin 2009, ISBN 30500405053-05-004050-5, S. 29ff et passim.</ref> von einem „mentalistischen [[Paradigma]]“ sprechen, bei Vertretern des ''linguistic turn'' von einem „linguistischen Paradigma“: Erfahrung ist zunächst immer sprachlich vermittelt.
Ein anschauliches Beispiel für die Hinwendung zur Sprache bietet die Aussageweisen bei der Diskussion ethischer Fragen analysierende [[Metaethik]] von George Edward Moore. Dabei wird nicht die Natur des [[Das Gute|Guten]] diskutiert, sondern die des sprachlichen Ausdrucks „gut“: Zählt dieses Wort zu den Worten, welchedie Handlungen empfehlen oder vorschreiben (sog. [[präskriptiv]]e Ausdrücke)? Oder ist es beschreibend („[[Deskription|deskriptiv]]“)? Drückt „Menschen in Notlagen zu helfen, ist gut“ eine Pflicht oder eine Handlungsbewertung aus? Oder etwa eine Beschreibung: Nothilfe hat nützliche Effekte? Moore unterscheidet beide Redeweisen derart, dass von beschreibenden Aussagen nie ein Schluss auf vorschreibende Aussagen erlaubt sei („[[Naturalistischer Fehlschluss|naturalistischer Fehlschluss]]“). Weil in derartigen Analysen nicht Einzelfragen der [[Normative Ethik|normativen Ethik]] diskutiert werden, sondern die Aussageweisen bei der Diskussion ethischer Fragen selbst analysiert werden, spricht man von „Metaethik“. Die Zunahme von Publikationen zur Metaethik ist zeitlich ungefähr parallel zur Zuwendung zur Sprache überhaupt.
Gelegentlich<ref>Z. B. bei [[Anton Hügli]], Poul Lübcke: Art. ''Sprachphilosophie.'', inIn: ''Philosophielexikon,.'' Rowohlt, Reinbek (bei Hamburg) 1991.</ref> setzt man das u. a. von Moore verfolgte Forschungsprogramm als „begriffsanalytisch“ von zwei weiteren ab, welchedie ebenfalls methodisch die Sprache ins Zentrum stellen: dem „[[Sprachanalyse|sprachanalytischen]]“ oder [[Philosophie der normalen Sprache|normalsprachlichen]], wie es [[Gilbert Ryle|Ryle]] oder Austin verfolgen, und dem „formalistischen“, welchesdas Frege, Russell und der frühe Wittgenstein verfolgten. Alle drei Forschungsprogramme werden üblicherweise als phasenweise wichtige Teilströmungen der sog. [[Analytische Philosophie|Analytischen Philosophie]] beschrieben.
Bergmann selbst hatte seine Rede von einem ''linguistic turn'' v. a. auf Moore und Wittgenstein bezogen und in diesem Sinn war ''linguistic turn'' auch immer ein Term der analytischen Philosophie. [[Philosophiegeschichte|Philosophiegeschichtliche]] Darstellungen fanden diese Ideenwelt dann aber auch rückblickend in ganz anderen Kontexten. Im Bereich französischer Philosophie konnte man zum Beispiel über [[Roland Barthes]] oder [[RicoeurPaul Ricœur]] auf die Idee eines „''[[semiotic turn]]“'' gebracht werden, und in der deutschen Geistesgeschichte auf die große sprachphilosophische Tradition von [[Johann Georg Hamann|Hamann]], [[Wilhelm von Humboldt|Humboldt]], [[Johann Gottfried Herder|Herder]], [[Wilhelm Dilthey|Dilthey]], die als „Hermeneutik“ von Gadamer verwaltet wurde.<ref>So z. B. [[Jürgen Habermas]]: ''Hermeneutische versus analytische Philosophie.'', Zwei Spielarten der linguistischen Wende, in: Ders.: ''Wahrheit und Rechtfertigung.''. Philosophische Aufsätze, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. am Main 1999 und 2. A. 2004. Mit Bezug darauf z. B. Richard J. Bernstein: ''The Pragmatic Turn,'', Polity, Cambridge 2010, ISBN 07456490840-7456-4908-4, S. 151.</ref> In jedem Fall betonen auch andere Strömungen der modernen Philosophie die Wichtigkeit sprachlicher Vermittlung, darunter beispielsweise die [[Phänomenologie]] von [[Maurice Merleau-Ponty]], die [[Philosophische Anthropologie|philosophische Anthropologie]] von [[Ernst Cassirer]] oder die Philosophie [[Martin Heidegger]]s.
== Die Auswirkungen auf die Geisteswissenschaften ==
Die linguistische Wende im engeren Sinne kann als Weiterführung und Anwendung der sprachlichen Wende auf das Gebiet der [[Kultur]] und der [[Geisteswissenschaft]]en allgemein angesehen werden. Im Zentrum steht die Einsicht, dass alle Erkenntnis stets der [[Logik]] der Sprache folgen muss und somit die sprachliche [[Tiefenstruktur|Struktur]] sowohl die Voraussetzung als auch die Grenze des Erkennbaren bildet. Sprache wird nicht mehr nur als neutrales [[Medium (Kommunikation)|Medium]] von Mitteilung angesehen, sondern als bestimmten Regeln gehorchender [[Diskurs]], innerhalb dessen Aussagen jeder Art überhaupt erst möglich sind. Letztlich, so die Auffassung der radikalen Vertreter des „linguistic''linguistic turn“turn'', sind auch die nicht im engeren Sinn sprachlichen Phänomene nach den diskursiven Regeln der Sprache strukturiert und als [[Text]] entzifferbar. ▼
Um die Logik der Sprache zu untersuchen, wurden insbesondere die [[Linguistik]] sowie die neu etablierte Disziplin der [[Semiotik ]] (Zeichentheorie) herangezogen. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden dann auch auf andere Bereiche wie etwa die [[Literaturwissenschaft]] oder die [[Ethnologie]] übertragen. Maßgeblich verantwortlich für den Durchbruch des ''Linguistic Turn '' in den [[Geisteswissenschaften]] waren vor allem die aus dem Strukturalismus und dem Poststrukturalismus hervorgegangenen Arbeiten. Bekannte Vertreter sind unter anderem [[Claude Lévi-Strauss]], [[Michel Foucault]], [[Judith Butler]], [[Jacques Lacan]], [[Luce Irigaray]], [[Julia Kristeva]], [[Roland Barthes]], [[Umberto Eco]] und [[Jacques Derrida]]. ▼
▲Die linguistische Wende im engeren Sinne kann als Weiterführung und Anwendung der sprachlichen Wende auf das Gebiet der [[Kultur]] und der [[Geisteswissenschaft]]en allgemein angesehen werden. Im Zentrum steht die Einsicht, dass alle Erkenntnis stets der [[Logik]] der Sprache folgen muss und somit die sprachliche [[Tiefenstruktur|Struktur]] sowohl die Voraussetzung als auch die Grenze des Erkennbaren bildet. Sprache wird nicht mehr nur als neutrales [[Medium (Kommunikation)|Medium]] von Mitteilung angesehen, sondern als bestimmten Regeln gehorchender [[Diskurs]], innerhalb dessen Aussagen jeder Art überhaupt erst möglich sind. Letztlich, so die Auffassung der radikalen Vertreter des „linguistic turn“, sind auch die nicht im engeren Sinn sprachlichen Phänomene nach den diskursiven Regeln der Sprache strukturiert und als [[Text]] entzifferbar.
Dabei entspricht die Sichtweise der linguistischen Wende gegenüber dem Phänomen Sprache durchaus nicht dem „gesunden Menschenverstand“ – und auch nicht dem, was die Philosophen lange Zeit über die Sprache zu wissen glaubten. Der herkömmlichen Vorstellung zufolge funktionieren Wörter nämlich wie Etiketten: Es gibt zuerst den wirklichen Stuhl„Stuhl“, dann das ''Vorstellungsbild'' 'Stuhl'„Stuhl“ (das [[Signifikat]]), dann das ''Wort'' „Stuhl“ (den [[Signifikant]]en). ▼
▲Um die Logik der Sprache zu untersuchen, wurden insbesondere die [[Linguistik]] sowie die neu etablierte Disziplin der Semiotik (Zeichentheorie) herangezogen. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden dann auch auf andere Bereiche wie etwa die [[Literaturwissenschaft]] oder die [[Ethnologie]] übertragen. Maßgeblich verantwortlich für den Durchbruch des Linguistic Turn in den [[Geisteswissenschaften]] waren vor allem die aus dem Strukturalismus und dem Poststrukturalismus hervorgegangenen Arbeiten. Bekannte Vertreter sind unter anderem [[Claude Lévi-Strauss]], [[Michel Foucault]], [[Judith Butler]], [[Jacques Lacan]], [[Luce Irigaray]], [[Julia Kristeva]], [[Roland Barthes]], [[Umberto Eco]] und [[Jacques Derrida]].
Schon 1915 konnte demgegenüber der [[Genf]]erGenfer Linguist Ferdinand de Saussure zeigen, dass die Signifikanten nicht „[[Abbild]]er“ der Signifikate sind, sondern dass Bedeutung vielmehr auf einer internen Differenzierung zwischen den Signifikanten selbst beruht. Sprache ist ein tendenziell autonomes [[System]], das mit dem von ihm Bezeichneten nur willkürlich ([[Arbitrarität|arbiträr]]) verknüpft ist. Saussure gilt sowohl als einflussreichster Begründer der modernen Linguistik wie auch als Wegbereiter des Strukturalismus, der Semiotik und damit des Linguistic''linguistic Turnturn''. ▼
▲Dabei entspricht die Sichtweise der linguistischen Wende gegenüber dem Phänomen Sprache durchaus nicht dem „gesunden Menschenverstand“ – und auch nicht dem, was die Philosophen lange Zeit über die Sprache zu wissen glaubten. Der herkömmlichen Vorstellung zufolge funktionieren Wörter nämlich wie Etiketten: Es gibt zuerst den wirklichen Stuhl, dann das ''Vorstellungsbild'' 'Stuhl' (das [[Signifikat]]), dann das ''Wort'' „Stuhl“ (den [[Signifikant]]en).
Eine sprachkritische Pädagogik hat der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin entwickelt, ausgehend von dem Grundsatz, dass jede pädagogische Interaktion der Sprache als ihrem Konstitutivum bedarf. Ohne Sprache können weder Bedeutung noch Bedeutsamkeit gelebt oder gelehrt oder verstanden werden. Dann aber reguliere die Logik der Sprache auch die Logik pädagogischer Interaktion von Beginn an und in jedem Vollzug.
▲Schon 1915 konnte demgegenüber der [[Genf]]er Linguist Ferdinand de Saussure zeigen, dass die Signifikanten nicht „[[Abbild]]er“ der Signifikate sind, sondern dass Bedeutung vielmehr auf einer internen Differenzierung zwischen den Signifikanten selbst beruht. Sprache ist ein tendenziell autonomes [[System]], das mit dem von ihm Bezeichneten nur willkürlich ([[Arbitrarität|arbiträr]]) verknüpft ist. Saussure gilt sowohl als einflussreichster Begründer der modernen Linguistik wie auch als Wegbereiter des Strukturalismus, der Semiotik und damit des Linguistic Turn.
== Die Auswirkungen auf die Sozialwissenschaften ==
Spätestens in den [[1980er ]]-Jahren griff der Paradigmenwechsel der linguistischen Wende auch auf [[Sozialwissenschaften]] wie [[Geschichtswissenschaft]] oder [[Soziologie]] über. Unter dem Einfluss des [[Postmodernismus]] und des [[Poststrukturalismus]] kam es zu einer Abkehr vom Anspruch, historische Wahrheiten und harte „Fakten“Fakten zu entdecken. Man wandte sich stattdessen dem [[Diskurs]] zu, innerhalb dessen Wahrheiten und Fakten erst sozial artikuliert werden. Als Wegbereiter dieses Ansatzes können [[Michel Foucault]] sowie der Geschichtstheoretiker und Literaturwissenschaftler [[Hayden White]] gelten. In ihrer Folge traten viele neue Fragestellungen und Methoden auf, so z. B. die [[Neue Kulturgeschichte]], die [[historische Anthropologie]], die [[Mikrogeschichte]] sowie die Frauen- und Geschlechtergeschichte im Rahmen der [[Gender Studies]]. ▼
Der Literaturwissenschaftler [[Hayden White ]] analysiert das Problem der [[Erzählung]] in der modernen [[Geschichtstheorie]] und beschreibt, wie Erzählstrukturen das Verständnis jeder Rekonstruktion von Geschichte lenken und damit manipulieren. Nach White unterliegt jegliche Darstellung von historischen Zusammenhängen [[Poetologie|poetologischen]] Kategorien. Geschichtsschreibung, sagt er, ist notwendig [[Narrativ ( GeschichteSozialwissenschaften)|narrativ]], auch wo sie vorgibt, es nicht zu sein. Elfriede Müller und Alexander Ruoff fassen das Ergebnis seiner Analyse so zusammen: „Erzählt man Geschichte, interpretiert man sie notwendig durch die Art und Weise, in der man ihre einzelnen Daten strukturiert.“ <!--Nachweis fehlt-->▼
▲Spätestens in den [[1980er]]-Jahren griff der Paradigmenwechsel der linguistischen Wende auch auf [[Sozialwissenschaften]] wie [[Geschichtswissenschaft]] oder [[Soziologie]] über. Unter dem Einfluss des [[Postmodernismus]] und des [[Poststrukturalismus]] kam es zu einer Abkehr vom Anspruch, historische Wahrheiten und harte „Fakten“ zu entdecken. Man wandte sich stattdessen dem [[Diskurs]] zu, innerhalb dessen Wahrheiten und Fakten erst sozial artikuliert werden. Als Wegbereiter dieses Ansatzes können [[Michel Foucault]] sowie der Geschichtstheoretiker [[Hayden White]] gelten. In ihrer Folge traten viele neue Fragestellungen und Methoden auf, so z.B. die [[Neue Kulturgeschichte]], die [[historische Anthropologie]], die [[Mikrogeschichte]] sowie die Frauen- und Geschlechtergeschichte im Rahmen der [[Gender Studies]].
Seit den 1980er Jahren relativierte sich die Dominanz der Analysekategorie des Textes in den Kulturwissenschaften („Kultur als Text“). Über Text und Sprache hinaus traten andere Dimensionen der Kulturwahrnehmung in den Vordergrund: das Bild, der Körper, die Inszenierung usw. Der ''linguistic turn'' wurde folglich durch konkurrierende Ansätze wie den ''spatial turn'', den ''performative turn'' oder den ''iconic turn'' usw. ergänzt oder verdrängt.<ref>Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Reinbek, 6. Auflage 2018, S. 25 ff.</ref> Die Kritik am Weiterbestehen kolonialer Macht richtete sich auch gegen die linguistische Wende, da diese die koloniale Macht nur auf der Ebene von Diskursen oder Wissenssystemen lokalisieren konnte.<ref>Bachmann-Medick 2018, S, 40.</ref>
▲Der Literaturwissenschaftler [[Hayden White]] analysiert das Problem der [[Erzählung]] in der modernen [[Geschichtstheorie]] und beschreibt, wie Erzählstrukturen das Verständnis jeder Rekonstruktion von Geschichte lenken und damit manipulieren. Nach White unterliegt jegliche Darstellung von historischen Zusammenhängen [[Poetologie|poetologischen]] Kategorien. Geschichtsschreibung, sagt er, ist notwendig [[Narrativ (Geschichte)|narrativ]], auch wo sie vorgibt, es nicht zu sein. Elfriede Müller und Alexander Ruoff fassen das Ergebnis seiner Analyse so zusammen: „Erzählt man Geschichte, interpretiert man sie notwendig durch die Art und Weise, in der man ihre einzelnen Daten strukturiert.“
== Siehe auch ==
* [[Material turn]]
== Literatur ==
;Allgemein
* Donald R. Kelley: Art. ''Linguistic Turn.'', in: ''[[New Dictionary of the History of Ideas]],.'' Bd. 3, S. 1290-12921290–1292.
* Richard M. Rorty: ''The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method.'', Chicago 1. A. 1967, 2. A. 1992. ([httphttps://books.google.de/books?id=LTOaM0X6e6cC&hl=de teils online lesbar bei books.google.de])
; Deutsche Rezeption in Geistes- und Kulturwissenschaften
* Georg G. Iggers: „Die''Die kulturelle und die linguistische Wende“,Wende.'' inIn: ''Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Göttingen:'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007., ISBN 978-3-525-36149-8.
* [[Doris Bachmann-Medick]]: ''Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften.''. 36. neuAuflage, bearb.Rowohlt Aufl.Verlag, Hamburg: Rowohlt Verlag 20092018.
* Elfriede Müller und Alexander Ruoff: ''Interpreten des Grauens. Geschichte und Verbrechen im französischen [[roman noir]]:'', inIn: ''jour fixe initiative berlin.'' (Hg.): ''Geschichte nach Auschwitz.'', Münster, 2002, ISBN 3-89771-409-4.
* [[Peter Schöttler]]: ''Wer hat Angst vor dem 'linguistic„linguistic turn'turn“?'', inIn: ''Geschichte und Gesellschaft.'', 23/1997 (1), S. 134-151134–151.
* Peter Schöttler: ''Nach der Angst. WasGeschichtswissenschaft könntevor bleibenund vomnach 'linguisticdem „linguistic turnturn“'?'',. in:Westfälisches [[Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur]]Dampfboot, 36,Münster 20112018, 1,ISBN S978-3-89691-293-0. 135–151
* Hayden White: ''Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie.'', inIn: Pietro Rossi (Hg.): ''Theorie der modernen Geschichtsschreibung.'', Frankfurt/M. am Main 1987.
* Daniel Tröhler und Stephanie Fox (2019): [https://www.researchgate.net/publication/333643136_Der_linguistic_turn'_und_die_historische_Bildungsforschung ''Der ‚linguistic turn' und die historische Bildungsforschung''.] In: Andreas Hoffman-Ocon und Eva Matthes (Hrsg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online; ISSN 2191-8325.
== Siehe auchWeblinks ==
* [[Mike Sandbothe]]: [ httphttps://www.sandbothe.net/52.0.html Die pragmatische Wende des linguistic turn], in: Ders. (Hg.): ''Die Renaissance des Pragmatismus .'' . Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000. ▼
* [https://philosophie.uni-koeln.de/sites/cssip/Publikationen/Das_Ende_des_lingustic_turn.pdf ''Das Ende des „linguistic turn“?'' (pdf)]. Stellungnahmen von Wolfgang Barz, [[Thomas Grundmann (Philosoph)|Thomas Grundmann]], [[Albert Newen]] und Christian Nimtz. Debatte in der Zeitschrift ''[[Information Philosophie]]'' (Jan. 2017).
== Einzelnachweise ==
<references />
== Weblinks ==
▲* [[Mike Sandbothe]]: [http://www.sandbothe.net/52.0.html Die pragmatische Wende des linguistic turn], in: Ders. (Hg.): ''Die Renaissance des Pragmatismus''. Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000.
[[Kategorie:Wissenschaftsgeschichte]]
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